Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
wäre der Blick der Medusa durch sie hindurchgefahren.
„Du gehörst mir“, hörte er ihr fast lautloses Zischen. „Diese weiße Schlampe glaubt, sie wäre was Besseres. Kommt hierher und will dich mir wegnehmen. Sie hat es verdient, zu sterben.“
Ihre Starre löste sich. S ch n eller als ein Schatten rannte sie auf das Bett zu. Makah griff nach Isabella, doch ihre schweißnasse Hand glitt durch seine Finger wie ein Fisch. Wieder stürzte sie sich auf Sara, hob ihre Arme und ließ ihre Fäuste auf die Brust der Bewusstlosen niederfahren. Sechs Hände packten fast augenblicklich zu und zerrten sie beiseite, noch ehe sie einen zweiten Schlag vollführen konnte.
„Du nimmst ihn mir nicht weg!“ , brüllte Isabella. Eine weitere Schwe s ter und zwei Ärzte kamen ins Zimmer. „Niemals! Niemals! Er gehört mir! Er hat schon immer mir gehört!“
Blicke streiften ihn, während man Isabella in Gewahrsam nahm und in den Flur hinauszerrte, als wüssten selbst die frisch Hinzugekommenen instinktiv, auf wen sich die Besitzansprüche bezogen. Er ging zu Sara und nahm ihre Hand. Nach wie vor war ihr Gesicht friedlich, ihr Atem ruhig. Als hätte sie nichts von alldem gespürt. Er hoffte sehr, dass es so war .
„Schon gut.“ Eine der Krankenschwestern schob ihn sanft beiseite. „Ich kümmere mich um sie.“
Widerwillig überließ er der Schwester seinen Platz und fiel in den B e suchersessel. Anna nahm im zweiten Platz, schwitzend und hochrot wie ein außer Kontrolle geratenes Atomkraftwerk.
„Wie hat es so weit kommen können, Makah?“
„Weil ich blind gewesen bin“, antwortete er flüsternd.
Kaum schloss er die Augen, erfasste ihn ein Wirbel aus Schwärze und Stille. Die Visionen. Das Zerfließen von Zeit und Raum. Nein! Nicht jetzt! Nicht hier! Er sprang auf, fast augenblicklich wurde ihm schwin d lig . Verzweifelt griff er nach dem Beistelltisch. Zu spät. Er spürte einen kurzen M o ment des Fallens, dann einen harten Aufschl a g . Der Strudel zog ihn nicht fort wie sonst, er schleuderte ihn in die Höhe, riss ihn he r um und warf ihn in ein Universum aus Kampfeswut und wilder Euph o rie .
Nocona, 1844
N
aduahs Finger bemalten sein Gesicht mit schwarzer Farbe. Er sah ihr Lächeln und die Glut der Lust im Tü r kisblau ihrer Augen. Ihr Körper bebte, als sie zwei Strähnen seines Haares flocht und mit schillernden Federn schmückte. Jede zarte Berührung ließ Flammen über seine Haut lodern. Jeder Hauch ihres Atems raste wie ein sengender Blitz in seine Lenden.
„Was auch passiert, ich warte auf dich.“ Er fing ihre rot verschmierte Hand ein und legte sie auf seine Brust, die von der Kälte des Winte r nachmittags von Gänsehaut überzogen war. Naduahs Fingerspitzen hinterließen fünf blutige Streifen auf dem Leder seines Kriegshemdes . „Mein Herz schlägt für dich. Nur für dich. Es wird dich immer finden.“
„Ich weiß“, raunte sie. „Ich habe keine Angst.“
Nicht länger in der Lage , sich zurückzuhalten, berührten sie sich, lie b kosten das Gesicht des anderen, verschmierten die Farbe auf ihrer Haut, fuhren Lippen, Augenbrauen und Wangen nach. Sie küssten sich noch einmal , dann bemalten sie Siyo und Cetan, schärften ihre Waffen und polierten Klingen, während der Rausch ungebändigter Lebendigkeit ihre Körper und Seelen flutete und sie schwerelos machte, stark und furch t los und bereit für alles, was kommen würde.
Das Band, das ihre Seelen miteinander vereinte, wurde immer stärker. Zusammengeschweißt durch ein Gefühl, das größer war als alles andere, selbst größer als das Schicksal. Sie schwangen sich auf ihre Pferde und fielen in die Schreie der Krieger mit ein. Entfesselten ihre Gefühle, näh r ten ihre wilde Entschlossenheit mit dem Wissen, dass sie lebten, um hier zu sein, gemeinsam, in diesem Augenblick. Nocona und seine Lanze n träger bildeten die Spitze der Angriffsformation, Naduah und alle, die über wenig Erfahrung im Krieg verfügten, ritten in der Mitte der Kri e gerschar. Schnee knirschte unter unzähligen Pferdehufen, Fell dampfte in der schneidenden Kälte. Sonst war kein Laut mehr zu hören. Lautlos ritten die Krieger in einer langen Prozession durch die Abenddämm e rung. Schweigend, eins mit Leben und Tod und dem ewig wä h renden Kampf dazwischen, während dichter Schneefall ihre Spuren verwischte, kaum dass sie sich im Leichentuch des Winters ve r ewigt hatten.
Makah, 2011
J
emand half ihm auf die Beine. Nein, Beine war zu
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