Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Weihnachtsepisode. Vielleicht hatte ihn sein Unte r bewusstsein daran erinnern wollen, dass er an Isabellas Eifersucht nicht unschuldig war. A uf jener Feier hatte er es eindeutig übertrieben mit dem Flirten . Für ihn war es nur ein Spiel, eine willko m mene, unverbindliche Ablenkung von seiner Trauer. Aber für Bella?
„Sara hat Glück gehabt“, murmelte er. „Eine Gehirnerschütterung. Nichts Lebensbedrohliches. Wie geht es dir?“
Isabella zuckte mit den Schultern. Ihr Lächeln sah so gezwungen aus, das s man das Quietschen ihrer Muskeln zu hören meinte. Makah wollte sie trösten, sie in die Arme schließen und ihr Mut zusprechen, wie er es schon tausend Mal getan hatte, doch diesmal war es ihm unmö g lich. Ein Instinkt warnte ihn davor, dass es alles nur schlimmer machen würde.
„Neil hat ’ s mir erzählt. Ich bin sofort hergekommen.“
„Danke, Bella. Willst du einen Kaffee?“
„Nicht nötig. Ich habe unterwegs kurz angehalten.“
Makah nickte, während sein Magen wie auf Kommando knurrte. Himmel, wann hatte er das letzte Mal ordentlich gegessen? Ein Karamellmuffin deckte nicht mal annähernd die Energie, die er in den letzten Stunden verbrannt hatte.
„Geh ruhig.“ Isabella hatte offenbar seine Gedanken gelesen und strich ihm so sanft über die Wange, dass er sich ganz jämmerlich fühlte. Höchstwahrscheinlich litt sie furchtbar unter ihrer unerwiderten Liebe. Warum war er so blind gewesen? Vor allem hatte er keine Ahnung, was er tun konnte, um es ihr leichter zu machen. Er war der Dorn in ihrem Fleisch. Der Auslöser für ihren Schmerz. Spätestens, als ihre Hand d a mals unter sein T-Shirt gewandert war, hätte er Klartext reden müssen. Er liebte Bella auf die Art, wie man eine Schwester liebte. Nicht mehr und nicht weniger. Abgesehen von dem kleinen Ausrutscher auf der Weihnachtsfeier.
„Du siehst aus, als würdest du gleich vom Fleisch fallen.“ Sie lächelte milde. „Geh schon. Ich passe solange auf sie auf.“
„Danke, Bella.“ Er beschloss, mit ihr noch heute einen Kaffee trinken zu gehen. Missverständnisse mussten ausgeräumt, falsche Hoffnungen mit Gewissheit gekittet werden.
Kaum stand er auf, wurde sein Widerwillen mit jedem Zentimeter, der ihn von Sara trennte, größer. Er wollte diese Frau festhalten. Sie spüren. Mit allen Sinnen. Die gewaltige Angst klaffte in ihm auf, sie nie wiede r zusehen. Zurückzukehren und nur Leere vorzufinden.
Schon einmal war es so gewesen. Makah schüttelte den Kopf, um die unnützen Sorgen loszuwerden. Damals war damals, heute ist heute. Er war nicht mehr Nocona, sondern Makah. Und Saras altes Leben war so fern und verstaubt wie seines.
„Sei unbesorgt.“ Isabellas Stimme war ein vertrauliches Säuseln. Es klang, als beruhig t e eine Mutter ihr Kind. „Alles ist okay. Ich kümmere mich um sie.“
„Ihr seid noch da, wenn ich zurückkomme?“ Was für eine idiotische Frage. Wohin sollte Sara schon gehen? Das hier war das einundzwanzig s te Jahrhundert. Keine Zeit, in der blutdurstige Horden durch das Land zogen. In seinem Kopf herrschte Chaos. Traumatische Erlebnisse der Vergangenheit griffen nach seinem Leben, und er musste es schaffen, sie auszusperren.
„Natürlich.“ Isabella warf ihm einen sonderbaren Blick zu. „Jetzt ve r schwinde schon. Sonst versagt noch dein Kreislauf.“
Dankbar lächelte er ihr zu und verließ das Zimmer. Als er seine Lede r börse aus der Gesäßtasche zog, stellte er fest, dass das Geld langsam zur Neige ging. Verflixt. Das war gerade noch genug für zwei Tage. In all der Hektik hatte er vergessen, mehr einzustecken, aber für einen Burger würde es wohl reichen. Makellos glänzend lag der Gang vor ihm. Lichter fanden ihren Widerschein im spiegelglatten Bodenbelag. Es gefiel ihm nicht. Er brauchte wogendes Gras um sich herum. Den Geruch nach Erde, Birkenpech und Pferd. Er vermisste die schiefen, knarzenden Wände seines Hauses und sogar das ärmliche Dorf, denn es war ihm tausendmal lieber als dieses funkelnde Gebäude inmitten gepflegter Str a ßen und Plätze.
Falls Sara Zeit mitgebracht hatte, würde er nach ihrer Entlassung g e meinsam mit ihr ausreiten. Einfach auf den Horizont zu. So wie damals. Auf der Suche nach der Magie ihrer Zweisamkeit.
Obwohl seine Gedanken in weit entfernten Sphären schwebten, fun k tionierten die Instinkte tadellos. Drei Jugendliche huschten um die Ecke und wären um ein Haar in ihn hineingerannt, hätte er nicht eine fließe n de Drehung vollführt.
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