Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
vor der Geburt den Körper der Frau verließ. Was bedeutete, dass das Kind kam. Und zwar jeden Augenblick.
In unmittelbarer Nähe zu ihrem Tipi war ein kleines Zelt eigens für i h re Niederkunft errichtet worden. Huka und Mahto warteten bereits auf sie. Auch Mahtowin kam herbeigewankt, wegen ihres Alters und einer Knochenentzündung auf schwachen Beinen, doch sichtlich von Eifer gepackt.
„Woher wussten sie, dass es so weit ist?“ Am liebsten wäre sie mit Nocona allein gewesen. „Können sie hellsehen?“
„Nein. Sie beobachten dich nur seit Tagen ununterbrochen.“
Ehe sie wusste, wie ihr geschah, setzte Nocona sie ab und übergab sie Mahtowin.
„Komm mein Kind“, säuselte die Heilerin, schob Naduah in das Tipi und ließ das Fell, kaum dass Nocona hindurchtreten wollte, vor seiner Nase zufallen.
„Du bleibst draußen“, befahl sie barsch. „Das hier ist ein Geburtszelt.“
„Sie ist meine Frau“, protestierte er . „Ich will bei ihr sein.“
Mahtowin verpasste seiner durch das Fell tastenden Hand einen rupp i gen Schlag. „Kein Mann hat hier etwas verloren, wenn eine Frau Leben schenkt. Geh. Warte mit den anderen draußen und sei still.“
„Alte Bisonkuh“, zischte er vernehmlich, doch die Heilerin tat, als w ä ren ihre Ohren taub. Murmelnd und summend legte sie ihren Beutel neben das Bisonfell, auf dem Naduah es sich bequem gemacht hatte, schlug ihn auf und holte ein Bündel Süßgras hervor. Während sie es an der Feuerstelle entzündete und den Rauch im Zelt verteilte, stützte Huka Naduahs Körper von hinten. Als die Hände ihrer Mutter zärtlich ihr Haar streichelten, fühlte sich Naduah an jenen Tag erinnert, da sie zum ersten Mal in einem Tipi gelegen hatte.
Damals war sie ein Grashalm gewesen, der sich kraftlos in die trockene Erde klammerte. Aber heute, zwischen all diesen Menschen, war sie wie das Grasmeer und wie die südlichen Wälder. Sie fühlte sich stark und behütet von dem Wissen, zu lieben und geliebt zu werden. Kehala schlüpfte ins Zelt und setzte sich neben sie. Huka murmelte Gebete, Mahtowin strich mit einem Fächer aus Taubenfedern über ihren Schoß und den prall gewölbten Bauch.
„Kann er nicht bei mir sein?“ Sie kehrte den neuen Anfall von Schmerz nach innen und nutzte ihn als Stärkung. „Bitte.“
„Nein.“ Mahtowin blieb standhaft. „In diesen Momenten bleiben wir Frauen unter uns. So ist es immer gewesen.“
Für einen Augenblick wurde ihr ganz schwarz vor Augen. Das Kind rutschte tiefer, sein Kopf drückte von innen gegen ihren Schoß.
„Aber ich will, dass er bei mir ist.“
„Du bist eine besondere Frau.“ Mahtowin schüttelte den Kopf. „Nur wenige sind so glücklich mit ihrem Ehemann, wie du es mit Nocona bist. Frage die Frauen. Fast jede wird dir sagen, dass sie bei einer Geburt li e ber unter ihresgleichen bleibt.“
Sie biss die Zähne zusammen. Jetzt, da der Druck immer stärker wu r de, rückte ihre Sehnsucht nach Nocona in den Hintergrund. Was, wenn sie in der Mitte entzweiriss? Sie hatte Schauermärchen gehört. Grausige Geschichten, an die sie jetzt nicht denken wollte.
„Es wird nicht passen“, keuchte sie. „Ich spüre es. Es passt nicht.“
„Natürlich passt es.“ Mahtowin tauchte einen Becher in den Topf, der über der Feuerstelle hing. Anscheinend hatte Huka in mütterlicher V o raussicht einen stärkenden Sud aus Kräutern und Honig aufgesetzt. Aus welchen geheimen Zeichen hatte sie nur herausgelesen, dass das Kind auf dem Weg war?
„Trink das.“ Die Heilerin reichte ihr das Gefäß, nahm den Fächer wi e der auf und fuhr fort, ihn über Naduahs Bauch zu streichen. „Es wird passen, keine Angst. Dein Körper ist dafür geschaffen, Leben zu sche n ken.“
Naduah nahm einen Schluck. Warm und süß rann der Sud ihre Kehle hinunter und entfaltete im Magen seine Wirkung. Erneut durchzuckte Schmerz ihren Leib, und diesmal antwortete ihr Körper mit dem unw i derstehlichen Drang, das nach Freiheit drängende Wesen h in auszu drücken. Mit aller Macht drängte der Kopf des Kindes aus ihrem Schoß. Unwillkürlich entflog ihr ein Stöhnen.
„Wirst du wohl hierbleiben?“ , hörte sie vor dem Zelt Mahto schim p fen. „Das ist Frauensache. Mahtowin wird dich verfluchen.“
„Und ich setze sie in eine Grube mit Klapperschlangen.“ Nocona war außer sich. „Dort ist sie unter ihresgleichen.“
„Bleib hier, sage ich!“
„Naduah und ich teilen alles miteinander. Alles. Diese zahnlose Hü n din wird mich nicht
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