Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
ohne sich um Höflichkeit zu scheren. Gleiches vergalt man mit Gleichem, zumindest in Situationen wie diesen. Vor ihm stand fleischgewordene weibliche Eitelkeit. Perfekt manikürte und lackierte Fingernägel, deren Farbton vermutlich eine höchst poet i sche Bezeichnung besaß. Fliederfarbener Lidschatten. Glänzende, viole t te Pumps, eine enge cremefarbene Hose, ein an der Schulter mit Paille t ten besetzter, hellgrauer Rollkragenpullover. Um den Hals eine zierliche Silberkette mit einem roten Edelstein, vermutlich echter Rubin, wie er diese Lady einschätzte.
Ihr Begleiter harmonierte mit ihr, als wären die beiden einer dieser A n hänger, die sich Verliebte schenkten. Anthony hatte Ruths Farben gewi s sermaßen neu sortiert, trug eine graue Hose und einen cremefarb e nen Pullover, dazu rote Schuhe und einen violetten Schal. Die beiden wirkten wie verirrte, nach Zitrusfrüchten duftende Paradiesvögel.
„Was wollen Sie hier?“ , fragte er. „Sara zurückholen?“
Anthony legte den Kopf schief und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Eine Erinnerung zuckte durch Makahs Gedächtnis.
Hungrige, fiebrige Blicke. Der Trapper leckte sich die Lippen und drückte die Spi t ze des Messers gegen sein Kinn. Langsam wanderte die Klinge nach unten, bis sie sich gegen jene Stelle seines Halses drückte, unter der das Blut pulsierte.
In der Art, wie Anthony von einem Bein auf das andere trat und sich Luft zufächelte, umwölkt vom Geruch der Erregung, löste er eine solche Abneigung in Makah aus, dass ihm übel wurde.
„Was ist?“ , knurrte er. „Erscheinen gerade kryptische Zeichen auf meiner Brust?“
„Nein.“ Der Grafiker blickte zu Boden. „Mir fiel nur auf, dass nasse, weiße T-Shirts dazu neigen, durchsichtig zu werden. Und ich musste an die Narben denken. Woher haben Sie die? Das sind ja eine Menge.“
Makah sah an sich h in ab . Der Stoff klebte an ihm wie eine zweite Haut. Offenbar hatte er unbewusst die Arme sinken lassen. Ruth kiche r te.
„Was wollen Sie?“ , wiederholte er barsch. „Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen in New York läuft, aber hier zeigen die Leute ein gewisses Maß an Höflichkeit.“
„Natürlich. Verzeihung.“ Die Lady schien es ehrlich zu meinen. Ihre Ohrringe baumelten empört, als sie eine seltsame Kopfbewegung vol l führte. Wie ein Huhn, das ein Korn entdeckt hatte. „Es schlägt nur etwas auf die Stimme, wenn man von einem nackten Adonis begrüßt wird, der tropfnass dem Fluss entsteigt.“
Anthonys darauffolgendes Seufzen war das t heatralischste , das er je gehört hatte. „Bei Gott, Sie hätten sich sehen sollen. Ein Apoll des Flu s ses. Die Narben passen dazu. Ein Krieger, von Kämpfen gezeichnet .“
Makah kniff ein Auge zusammen. Diese b eiden hatten definitiv ein paar Sprünge in ihren Schüsseln. „Sie hätten sich ankündigen kö n nen. Dann wäre Ihnen diese Unannehmlichkeit erspart geblieben.“
„Gott bewahre.“ Ruth warf den Kopf zurück und wieherte wie ein Ackergaul . „Was heißt hier Unannehmlichkeit? Es liegt in meiner und auch in Anthonys Natur, Anbli c ke wie den soeben Erlebten als G e schenk Gottes zu em p finden.“
Makah verdrehte die Augen. Langsam gingen ihm die zwei echt auf die Nerven.
„Was wollen Sie?“ , fragte er zum dritten Mal.
„Soll ich das wirklich laut aussprechen?“ , flüsterte Anthony. „Es wäre mir bis ans Lebensende peinlich, aber wenn …“
„Lass es“, fuhr ihm Ruth über den Mund. „Wir wollen nur mit Sara reden. Wie geht es ihr?“
„Gut. Aber ich muss jetzt los.“
Ehe einer der b eiden protestieren konnte, wandte er sich um und ma r schierte zum Haus zurück. Er hatte weder die Zeit noch die Lust, sich mit diesen absonderlichen Käuzen herumzuschlagen. Holz musste g e hackt werden, die Pferde und Hunde warteten auf Futter. A u ßerdem hatte er vor, Sara ein luxuriöses Frühstück zu kredenzen. Es war das Mindeste, was er für sie tun konnte, bedachte man die Tatsache, dass sie einen ganzen Monatsvorrat bezahlt hatte, unbeeindruckt von seiner Drohung, er müsse sie wegen der Verletzung seines männlichen Egos über s Knie legen.
Ruth und Anthony gaben nicht auf und folgten ihm wie zwei Schatten. Sie hielten einen gewissen Höflichkeitsabstand ein, gafften jedoch we i terhin mit unveränderter Penetranz, während er die Pferde aus dem Stall ließ, Heu in die Raufe und Wasser in den Trog füllte, ein paar Scheite Holz hackte, sie aufstapelte und Benzin in den Generator füllte. Nur für den
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