Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
folgenden Momenten, in denen er vor Furcht wie ve r steinert war. Sie wussten nichts von den lautlosen, heimlichen Tränen, die sich aus seinen Augen stahlen, wenn er nicht schlafen konnte und glaubte, unbeobachtet zu sein.
Naduah liebte den Krieger, der sie mit seinem Leben beschützte, und den verletzlichen Mann, der in der Nacht zitternd in ihren Armen lag. Vielleicht war dies das Geheimnis. Den anderen in seinen verletzlichsten Momenten sehen. Geben und n ehmen . Nichts verheimlichen.
Mit einem weichen Ledertuch fuhr Nocona über die Bemalungen, die er am Kanu angebracht hatte. Viele waren es nicht. Die wichtigen Da r stellungen würde Quanah irgendwann selbst im Holz verewigen. Dinge, die er erlebte. Visionen, Träume und Abenteuer.
Naduah machte sich Sorgen, denn in letzter Zeit hatten die Kun d schafter immer häufiger Wagenspuren gefunden. Am Ende seines L e bens würde das Kanu vermutlich mehr Geschichten vom Krieg als vom Fri e den erzählen. Hoch oben auf den Staked Plains, in denen niemand außer dem Volk der Nunumu überlebte, gab es verborgene Schluc h ten. Wenn sie sich dort versteckten, würde niemand sie finden. Der Weg war b e schwerlich. Alte und Schwache schafften es vielleicht nicht. Aber das Land der Cheyenne, das wie ein Puffer zwischen ihren Jagdgründen und dem Osten lag, war zu einem Ort des Krieges geworden. Und dieser Krieg bewegte sich mit jedem Tag weiter auf sie zu. Gut möglich, dass sie bereits im nächsten Jahr die gefährliche Reise wagen mussten.
Nocona stand auf und streckte seinen vom Arbeiten müden Körper. „Es ist so weit , seid ihr bereit?“
„Bist du dir deiner Sache sicher?“
„Die Flussgeister lieben unseren Sohn. Sie würden es niemals zulassen, dass ihm etwas geschieht.“
„Das hoffe ich für dich.“ Naduah nahm die Trage samt Quanah und drückte sie an sich. Der Wind zerrte an ihren geflochtenen Zöpfen und fühlte sich an wie eiskalter Atem. „Wenn wir ins Wasser fallen, erfrieren wir alle drei.“
„Ich schwöre, dass dieses Kanu nicht kentern wird. Was ist eigentlich mit dem Pelzkragen los?“ Nocona nickte zum Hund hinüber, der platt wie ein Ziesel am Boden lag und mit dem Schwanz durch den Schnee wischte.
„Quanah hat den ganzen Vormittag damit verbracht, ihn an den O h ren zu ziehen.“ Mit Noconas Hilfe stieg sie in das Kanu. Kaum hatte sie eine bequeme Sitzposition gefunden, schob er es ins Wasser und sprang selbst hinein.
„Hat er ihm das Fell am Hintern ausgerissen?“
„Ganze Büschel davon“, bestätigte Naduah. „Du solltest Wanapin mehr Respekt zollen. Er ist der geduldigste Hund, den diese Welt je gesehen hat.“
„Nein.“ Nocona grinste. „Er weiß nur, dass ich ihn rösten würde wie ein Kaninchen, wenn er meinen Sohn beißt.“
„Das würdest du nicht. Ich sehe doch, wie du ihn kraulst und mit ihm redest, wenn ich nicht hinsehe.“
Nocona warf ihr einen verschmitzten V erlass -dich-nicht-darauf-Blick zu. Mahto und Huka saßen am Ufer und füllten getrocknete Krä u ter in Lederbeutelchen, die sie später an einen Zeltpfosten aufhängen würden, wo sie so lange baumelten und dufteten, bis ihr Inhalt als Würze oder Heilmittel gebraucht wurde. Als das Kanu an ihnen vorbeiglitt, blickten die b eiden kopfschüttelnd auf.
„Fahrt nicht zu weit“, bat Mahto. „Es ist Winter. Der Dämon des Frostes würde euch schneller töten, als ihr das Ufer erreicht.“
„Wir sind bald zurück“, rief Naduah. „Macht euch keine So r gen.“
Leidlich beruhigt nickte er, verpasste seiner Frau einen Klaps auf den Hintern und wich ihrer zuschlagenden Hand mit der Wendigkeit eines Halbstarken aus.
Naduah hielt Quanah im Arm und schnupperte an seiner lieblich du f tenden Haut. „Ich hoffe, dass wir glücklich alt werden und unseren Sohn sehen, wie er stolz auf seinem Pferd sitzt und den Mädchen den Kopf verdreht.“
„Bestimmt werden wir das.“ Nocona zog das Paddel durch das Wa s ser. Sanft glitt das Kanu in die Strömung hinaus. Kahle Bäume und bu n te Zelte glitten an ihnen vorüber, stetig wie die dahinfließende Zeit. Wi n terruhe lag über dem Land. Kein Vogel durchmaß den Himmel, kein Tier zog seine Spur durch den Schnee. Nur Quanahs leises Glucksen und das Plätschern des Paddels hielt en Naduah in der Wirklichkeit und erinnerte n sie daran, dass sie noch jenseits des Landes der Ahnen exi s tierten.
Sie blickte in die Fluten hinab und sah wirbelnde Schwärze, die an i h rem Geist zog und sie schwindeln ließ. Verwirrt
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