Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
konnte. Seine Anwesenheit hätte nichts am Schicksal geändert. Vermutlich hätte man ihn gefangen genommen und an der Seite von Mahto und den anderen erschossen. Ungeachtet dessen klaffte in Nocona eine abgrundtiefe Verzweiflung auf, wenn er daran dachte, dass er sie allein gelassen hatte. Die Menschen, die er liebte. Ihm war klar, um was sich Mahtos letzte Gedanken gedreht haben mussten. Seine Tochter und Quanah waren allein. Zurückgelassen von ihrem Mann, der irgendwo in der Ferne seiner Erlösung nachjagte.
Liebe erfüllte sein Herz, als er Naduah beobachtete. Ihre stolze, abg e magerte Gestalt, ihre schmutzige Haut, das abgeschnittene Haar und die verbundenen Arme. Wenn ihre Blicke sich begegnen, lächelte sie. Ung e brochen stark.
Nocona ließ sich mit dem Strom treiben. Ab und zu korrigierte er die Richtung, bremste das Kanu ab, wenn es zu schnell wurde, oder zog das Paddel mit kräftigen Zügen durch das Wasser, wenn der Fluss zu still wurde. Manchmal schloss er die Augen, versank in der trägen Hitze des Tages und ließ sich von der Sonne verbrennen. Sein Geist erhob sich in schwindelerregende Höhen. Er flog dorthin, wo keine Angst existierte und der Wind von uralten Träumen erzählte.
Unwirklich flossen die Tage an ihm vorbei. Immer wieder lenkte er das Kanu an das Ufer und zog Naduah an sich, küsste ihre feuchte Haut, streichelte über ihr Haar und musterte sie, als erblick t e er diese bera u schende Frau zum ersten Mal. Sie liebten sich vorsichtig und sanft, flü s terten sich am Abend in den Schlaf und wachten am Morgen eng u m schlungen auf. Sie jagten gemeinsam, saßen abends aneinanderge schmiegt am Feuer und sogen die Nähe des anderen hungrig in sich auf. Etwas, das Nocona für unmöglich gehalten hatte, trat ein. Die Nähe, die er mit seiner Frau teilte, wurde noch tiefer. Noch heiliger. Naduah war sein Atem. Sein Herzschlag. Seine Seele.
Am sechsten Tag ihrer Reise, als die Hitze so drückend wurde, dass der Schweiß in Rinnsalen über seinen Oberkörper lief und das Paddel selbst in der Mitte des Flusses über Kies schabte, schwängerte der G e ruch nach Tod die Luft.
Kein Baum säumte das Ufer, kein Strauch oder Felsen. Nur grasb e wachsene Hügel, Senken und Ebenen. Nocona zog das Kanu an das Ufer, setzte sich auf Cetans Rücken und suchte mit Naduah nach dem Grund des Gestanks. Nachdem sie drei Hügel e r klommen hatten, raubte ihnen das Leichentuch des Gestanks den Atem. Viele Körper mussten in der Hitze des Sommers verfaulen, um das ganze Land mit Tod zu erfü l len. Kein Krähengeschrei war zu hören. Kein Kojote oder Wolf kämpfte um Fleisch. Die Stille war zornig und endgü l tig.
Als sie den vierten Hügel jenseits des Ufers erklommen hatten, sahen sie, woher das Schweigen rührte. Das Land war hingeschlachtet. Ausg e weidet und seiner Seele beraubt. Ein Krieg war über die Prärie gefegt. Wagenspuren schlängelten sich durch ein Labyrinth aus verfaulenden Körpern. Enthäutete Bisons lagen im Gras, so weit das Auge blickte. Manche waren angefressen, andere unberührt, weil die unvorstellbare Masse an Fleisch die Raubtiere der Plains überforderte. Bis zum Hor i zont war das Land in Blut getränkt.
Lange blickten sie auf das Schlachtfeld hinab. Schweigend und fa s sungslos. Die Botschaft dieses massenhaften Todes war unmissverstän d lich.
„Sage ihnen nichts.“ Nocona lenkte Cetan herum und trieb ihn zurück zum Fluss. Naduah blieb dicht an seiner Seite. „Erzähle nichts von dem, was wir gesehen haben. Wir gehen weit fort.“
Sie nickte stumm. Er stieg in sein Kanu, ließ es hinaus auf den Fluss treiben und zog das Paddel durch das Wasser. Sie mussten in die so n nenverbrannte Ödnis der Staked Plains flüchten. Der Weg war weit und kräftezehrend, gut möglich, dass ihn nicht jeder überlebte. Aber ihnen blieb keine Wahl. Er dachte nicht mehr an den Krieg, an Ruhm oder Ehre. Dinge dieser Art waren aus seinem Kopf getilgt. Alles, was er wol l te, war Frieden. Den ungestörten Fluss der Jahreszeiten, der ihn durch das Leben trug und seine Kinder aufwachsen ließ.
Am nächsten Abend tauchte das Dorf vor ihnen auf. Eine Ansam m lung bunter, in der Sonne leuchtender Zelte. Nicht sein Dorf, aber eine neue Heimat. Naduah war vorausgeritten und hatte sein Kommen ang e kündigt. Auf einer Landzunge, die in den Fluss hinausragte, standen alle Menschen aus seinem Leben, die übrig geblieben waren.
Peta, Kehala und Makamnaya. Mahtowin, die Geschichtenerzählerin, und Naduah.
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