Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
tagein, tagaus nur streicheln und drücken. „Schon Konfuzius sagte: Es gibt drei Arten, sich weiterzuentwickeln. Die erste besteht im Nachdenken. Das ist die e delste Art. Die zweite ist das Nachahmen. Das ist die einfachste Art. Bei der dritten handelt es sich um die Erfahrung. Das ist die bitterste Art.“
„Ich will nicht zurück“, murmelte Sara. „Du erträgst es besser als ich. Dich macht es stark. Ich fühle mich wie ein Bild, das verblasst.“
Er hob den Kopf und sah sie an.
„Machst du Witze? Bevor du aufgewacht bist, hatte ich den Niesanfall meines Lebens. Dieser Körper hier ist bis über beide Ohren vollg e pumpt mit Aspirin. Mein Kopf fühlt sich an wie eine überfahrene Mel o ne.“
„Du siehst gut aus.“
„Nichts als Illusion.“
„Nein, du siehst aus, als könntest du mit bloßen Händen einen ganzen Wald aus Eichen niedermähen. Du siehst aus wie Chuck Norris ’ Nac h bar.“
Ihm entkam ein Prusten. Diese Frau war der Hammer. Sie sah gut aus, besaß einen wundervollen Charakter, einen guten Schuss Humor und haufenweise Mut. Sie war das, was sein Vater augenzwinkernd als Hauptgewinn des Lebens bezeichnet hatte. Er wollte sie anbeten, vor ihr auf die Knie sinken, ihr huldigen, jeden Millimeter ihres Körpers küssen. Doch der Schatten war unübersehbar. Sie sah ausgezehrt aus, blass und ausgelaugt. Zogen ihr die Visionen die Kraft aus den Knochen, während er völlig gegensätzlich auf sie reagierte? Möglicherweise war es dasselbe Prinzip wie bei Krankheiten. Der eine war immun dagegen, der andere litt wochenlang und kam nur zermürbend langsam wieder auf die Beine. Vielleicht lag es auch an etwas ganz anderem.
„Du bist schwanger“, überlegte er. „Ergo beuteln dich die Hormone.“
Sie schnaufte. „Einhundertsechzig Jahre alte Hormone?“
„Warum nicht? Die Visionen sind kein harmloses Spiel. Sie verändern uns. Sie verletzen uns. Vielleicht ist es besser, wenn jemand auf uns au f passt.“
„Wer denn?“
„Ich könnte jemanden aus dem Dorf fragen.“
„Nein.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich will niemanden ei n weihen. Ich will mit dir allein sein. Nur mit dir. Außerdem wissen wir nie, wann die Visionen kommen. Wenn jemand auf uns aufpassen soll, müs s te er ständig um uns sein.“
„Wie du willst. Aber wenn es schlimmer wird, quartieren wir uns bei Neil ein. Oder wir fahren zu Ross ’ Farm. Er wird es verstehen. Oder es wenigstens versuchen.“
Saras Blick verlor sich in unsichtbarer Ferne. „Ich bekomme ein Kind, das Mahto und Huka nie sehen werden.“
Darauf wusste er nichts zu sagen. Einfach war das Ganze nicht. War es noch nie gewesen. Und mit jedem Mal wurde es schwerer.
„Ich koch dir noch einen Tee. Willst du was essen? Soll ich dir was bringen?“
„Nein.“
„Gut. Dann verschwinde noch eben schnell auf das barbarische …“
„Nein!“, wiederholte sie. „Besser nicht.“
„Ich muss aber. Du weißt schon, diese unästhetischen Bedürfnisse, für die die Natur noch keine sinnvolle Alternative gefunden hat.“
Sie griff nach seiner Hand und zog ihn zu sich h in ab . „Mir war nicht nur schlecht, weißt du? Besser, du gehst vor morgen früh nicht da rein.“
„Sara, alles an dir ist wunderbar und faszinierend.“
„Hast du eine Ahnung. Warte wenigstens, bis ich eingeschlafen bin, okay? Stell dir vor, du wärst ein Romanheld. Romanhelden müssen nie auf ’ s Klo.“
Makah kapitulierte. Also gut, wenn dieses hinreißende Geschöpf es so wollte, würde er noch ein Weilchen ausharren. Er hatte sich immer für ein Naturtalent gehalten, was Körperbeherrschung betraf. Jetzt war die Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen. Kaum hatte er seinen Kopf auf ihre Brust gelegt, wurde ihm wunderbar duselig. Der Gedanke an dringende Notwendigkeiten verblasste, ganz zuletzt verschwand die Sorge, nach den Visionen mit nasser Hose aufzuwachen. Zusammen mit Sara schlief er ein und versank in der Tiefe von Zeit und Raum. Ihr Herzschlag hallte im stillen, schwarzen Universum wieder. Sie war bei ihm. Begleitete ihn.
Ein unglaubliches Gefühl.
Nocona, 1847
D
er Fluss trug ihn mit träger Gemächlichkeit. Ein Win d hauch umfächelte seine verschwitzte Haut. Nicht weit von ihm und doch viel zu weit weg ritt Naduah auf ihrer Stute am Ufer entlang. Wanapin und Cetan trotteten ihr hinterher, e r schöpft von der drückenden Schwüle.
Viel zu viel Zeit war vergangen. Wunden waren gerissen worden, die nichts und niemand heilen
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