Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
siegen.
„ Weißt du noch, letzten Frühling?“ , drang irgendwann die Stimme se i nes Freundes zu ihm. „Die Ranger, die dachten, sie hätten ein leichtes Spiel? Wir haben die Erde mit ihrem Blut getränkt. Wir haben ihre Pläne drei Monde lang vereitelt. Wir haben sie gepeinigt, gestochen und g e quält. Tausende Menschen haben die Noconi gerettet. Nur durch uns konnten sie rechtzeitig fliehen.“
„Ja, aber jetzt sieh uns an. Von hunderten sind nur noch zwei Dutzend übrig. Der Rest ist tot und begraben.“
Mit Schrecken erinnerte er sich an die Kessel der Tonkawa, in denen das Menschenfleisch dampfte. Er dachte an abgeschlagene Hände und Füße, die an den Sätteln der Kriegsponys baumelten.
„Die Gelben Haare haben ihnen erlaubt, unsere Brüder zu essen “, flüsterte er. „ Sie erlaubten es, weil sie wussten, dass wir zusehen würden. Weil sie wus s ten, dass wir das gekochte Fleisch riechen.“
Makamnaya stieß einen schweren Seufzer aus. „ Ja. Aber w ir haben g e kämpft, Bruder. Bis zum letzten Blutstropfen. Wir können nicht alle retten.“
Nocona sah ein, dass er r echt hatte. Und doch gab ihm diese Erkenn t nis keine Ruhe. „Ich habe geschworen, mein Land zu verteidigen. Und ich versage.“
„Unsinn. Du und deine Noconi haben tausende Leben gerettet. Ohne euch wären diese Ungeheuer über die Dörfer gekommen wie Wölfe über schlafende Rehe. Nur durch euch konnten sie fliehen. Nur durch euch haben sie eine Zukunft.“
Aber unsere Zukunft stirbt , antwortete er in Gedanken. Das weißt du gena u so wie ich. Ich sehe es in deinen Augen.
Zelte schälten sich aus dem tanzenden Silbergrau heraus. All die Jahre hatte er getan, was er tun musste. Er hatte gekämpft bis zur völligen Erschöpfung und keinen Gedanken daran verschwendet, dass es vie l leicht nicht genug sein könnte. Jetzt ritt er auf sein Dorf zu und wusste, dass alles, was er getan hatte, nicht genug gewesen war.
Die Kraft der Noconi war am Ende, die Zahl der Feinde wuchs schneller denn je. Der Vernichtungsfeldzug gegen alles Leben in der Prärie war zu einem Gewittersturm geworden, dem sie nur noch Ve r zweiflungstaten entgegensetzen konnten.
Alles, was blieb, war die Hoffnung.
„Du tust, was in deiner Macht steht“, sagte Makamnaya, als sie sich im Dorf verabschiedeten. „Vergiss das nicht, mein Freund. Ab jetzt können uns nur noch die Geister helfen.“
Nocona nickte. Ein schwacher Trost, aber immerhin ein Trost. „Mo r gen früh versuchen wir es noch einmal.“
Makamnaya grinste wie in alten Zeiten. „In der ersten Dämmerung werfe ich dich aus deinem Zelt. Also suche besser Schlaf, statt dich die ganze Nacht mit deinem Blauauge zu vergnügen.“
„Ich kann weder schlafen noch mich vergnügen. Quanah und Pecan sind krank.“
„Ich weiß. Asa ist untröstlich. Ich sehe sie kaum noch, weil sie nur noch in eurem Zelt ist. Geht es den Jungen besser?“
„Quanah ist auf dem Weg der Besserung. Aber Pecan … es würde ihm besser gehen, wenn ich gutes Fleisch für ihn hätte.“
„Wie geht es Topsannah?“
Noconas Herz wurde warm und schwer zugleich. „Sie ist die Gesü n deste und Kräftigste von allen. Wenn Quanah und Pecan nicht aufpa s sen, wird sie die Herrschaft an sich reißen.“
„Das ist ihr gutes Recht. Im Tipi herrscht die Frau.“
„Morgen müssen wir etwas finden. Es geht nicht anders. Unsere Vo r räte sind aufgebraucht. Alles, was wir noch haben, sind ein paar Streifen Trocke n fleisch.“
„Alles wird gut“, versprach Makamnaya. „Morgen kommen wir nicht mit leeren Händen zurück.“
Der Krieger lächelte ihm zu und lenkte sein Pferd hinaus in das Schneetreiben. Nocona befreite Kohana von Zügel und Decke, gab ihm einen Klaps und schlüpfte in das Zelt. Die Wärme darin war dick und schal. Es roch nach Krankheit, Hunger und der kargen Suppe , die über dem Feuer blubberte und nur aus Wasser, wilden Zwiebeln und ausg e kochten Knochen bestand. Als Naduah zu ihm aufblickte, wäre er am liebsten unsichtbar geworden.
„Nichts?“, flüsterte sie. Topsannah lag in ihren Armen, rund und strahlend wie eine kleine Sonne. Noch sah man ihr die Zeit des Hu n gerns nicht an, weil sie nichts zu sich nahm außer der Milch ihrer Mutter. Rabenschwarzes Haar umrahmte ein Gesicht, das so klein und zart war wie das eines Vögelchens. Seine Familie hatte bessere Zeiten verdient. Nicht dieses bange, unheilschwangere Warten auf den nächsten Krieg, das Männern, Frauen und Kindern das Leben
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