Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Magens lässt mich kein Auge zutun. Wie geht es Pecan? Und Asa?“
„Wir sollten aufbrechen“, antwortete Nocona ausweichend. „Ich fühle, dass wir diesmal Wild finden. Vielleicht sogar Büffel.“
Das Eis des Flusses stöhnte leise auf. Sein Knacken und Knarzen durchbrach für einige Momente die Stille, dann senkte es sich wieder herab. Das Leichentuch einer toten Winternacht. In diesem Jahr war die Zeit der Ruhe zu einem grimmigen Raubtier geworden, deren Biss sich nicht lockerte.
„Dann los!“ Makamnaya warf sich herum und marschierte zu den Pferden hinüber, die dicht aneinandergedrängt im Schutz der Klippen standen. „Mach dich fertig, ich hole Kohana und meine Stute.“
Leise schlüpfte Nocona in das Zelt, zog sich an, schulterte Bogen und Köcher, steckte das Messer in seinen Gürtel und beugte sich über Naduah und seine Tochter. Könnte er doch nur den Rest seines Lebens damit verbringen, die b eiden anzusehen. Silberne Strähnen glänzten hier und da in Naduahs Haar, Fältchen umrahmten ihre geschlossenen A u gen. Der Hunger ließ sie vor ihrer Zeit altern, doch nach wie vor war sie in seinen Augen die schönste Frau, die er je erblickt hatte.
„Diesmal komme ich nicht mit leeren Händen wieder.“ Er hauchte Küsse auf ihre Stirn und ihre Wangen. „Alles wird gut.“
Naduah seufzte schlaftrunken. Topsannahs winzige, zusammenge ballte Faust streckte sich ihm entgegen, ohne dass sie erwachte. Noch einmal schmiegte er sich an den warmen Körper seiner Frau, streichelte ihre Rundungen und sog ihren Duft in sich hinein.
Falls er auch diesmal nichts erlegte, würden sie wohl oder übel Wanapin essen müssen. Wäre Pecan nicht krank gewesen, hätten sie vermu t lich längst zu dieser Notfalllösung gegriffen, doch seinen treuen Freund zu verlieren, würde dem Jungen das Herz brechen. Um aller willen kon n te Nocona nur hoffen, erfolgreich zu sein.
„Geh nicht“, nuschelte Naduah im Halbschlaf. „Bleib hier.“
„Ich muss gehen.“ Er küsste ihre trockenen Lippen. „Wir brauchen Essen.“
„Es ist noch Nacht.“
„Umso eher bin ich wieder bei dir.“
„Nocona …“
Er hielt den Atem an. Die Art, wie sie seinen Namen aussprach , zär t lich und ängstlich. Er wollte nicht gehen. Er wollte bei ihr bleiben und endlich Ruhe finden, doch das Knurren von fünf ausg e hungerten Mägen sagte ihm, dass er jagen musste. Diese Nacht brachte ihm G lück. Er spürte es.
„Schlaf weiter, mein Blauauge. Ich bin bald wieder bei euch . M it einem ganzen Berg aus bestem Büffelfleisch.“
Er stand auf und ging hinaus in die Nacht, ehe Naduahs wundervolle Nähe seinen Willen gänzlich betäubte. Makamnaya und die Pferde wart e ten aufbruchbereit vor dem Zelt. Ein Lächeln spielte um die Lippen seines Freundes, das aufmunternd hätte wirken sollen, doch es verstär k te nur dieses Gefühl, das Nocona nicht benennen konnte.
Sein Innerstes war eiskalt, als er sich auf Kohanas Rücken schwang.
„Nur Mut!“, frohlockte Makamnaya. „Ich kann die Büffel riechen.“
„Dann hoffe ich, dass deine Nase r echt behält.“ Nocona wicke l te die Zügel um seine Hand. Sein Atem gefror in der klirrend kalten Winterluft. Das Band um seinen Brustkorb bröckelte, und als er seinem Rappen die Hacken in die Flanken stieß und in die schneeblaue Nacht hinausjagte, zerbrach es ganz.
Diesmal, da war er sich sicher, würden sie erfolgreich sein.
„D u musst den Verstand verloren haben“, brummte Makamnaya. „Lass uns zurückreiten. Was nützt es unseren Familien, wenn wir tot sind?“
Nocona wusste, dass sein Freund r echt hatte, doch er ritt weiter. Die Nacht war vorüber, der Morgen einem trüben Tag gewichen. Über ihnen hingen schneeschwere Wolken und ließen den Horizont in grauer, eint ö niger Leere verschwinden. Sie mussten Beute finden. Irgendwo. Er wü r de nicht noch einmal mit leeren Händen zurückkehren. Entschlossen ritt er weiter, immer weiter hinaus in das leere, haltlose Grau, und Makamnaya, zu treu, um ihn im Stich zu lassen, folgte ihm dichtauf.
Leise murmelte er Gebete. Die Geister durften ihn nicht im Stich la s sen. Der Hunger hatte ihn im Griff, doch er hielt stand. Trieb Kohana an, bis er endlich erhört wurde. Geräusche schälten sich aus dem Nebel. Grunzen, Schnaufen, Brüllen. Täuschten ihn seine Sinne, oder hörte er wirklich Büffel? Makamnaya zügelte seine Stute dicht neben Kohana und ließ seinen Blick durch die Einöde aus Schnee und Eis wandern. Es waren nicht
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