Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
sie aufwachte, lag sie auf einem Bett , in scheußliche Kleidung g ehüllt . Steif, stinkend, hässlich. Bluse, Rock, kratzende Unte r wäsche und drückende Schuhe.
„Erinnere dich!“ Eine drohende Stimme grollte über ihr . W ie die Dunkelheit eines nahenden Gewitters. „Du bist Cynthia Ann Parker. Du bist jetzt in Sicherheit.“
„Nocona …“, wisperte sie.
„Du musst keine Angst mehr haben“, gab die Stimme kalt zurück. „Er ist tot.“
„Nein.“ Unmöglich. Eine Lüge. Er war jagen gewesen. Weit weg. Er war nicht dabei gewesen, als die Kanonen sein Dorf zerfetzt hatten. „Nein!“
„Schon gut.“ Eine Hand streichelte ihren Kopf. Naduah schloss die A u gen. Schwärze und widerliche Stille hielten sie gefangen . Sie hatte Quanah und Pecan allein gelassen. Topsannah, ihre Blume. Wo hatten sie sie hing e bracht? Sie wollte nach ihrer Tochter fragen, doch kein Ton kam über ihre ta u ben Lippen.
„Alles wird gut. Wir sind jetzt deine Familie. Niemand tut dir mehr weh.“
Nocona, 1864
„V
ater?“
Quanahs Stimme war so leise, dass er sie zunächst für ein Flüstern des Windes in den kahlen Zweigen hielt. Doch ein Schatten in seinem Augenwinkel ve r riet ihm, dass der Junge wirklich hinter ihm stand.
„Ja?“ , antwortete er ebenso leise.
„Sie sagen, dass morgen früh die letzten Krieger eintreffen.“
Er war nicht gekommen, um ihm das zu sagen. Nocona spürte es. Se i ne Finger strichen über das Bisonfell, das er seit heute Nachmittag in seinen Armen hielt. Naduahs Fell. Jetzt, da die Nacht hereingebrochen war, verwandelten sich die farbenfrohen Zeichnungen in düstere Scha t ten und schemenhafte Gespenster.
Unter dem Eis, auf dem er saß, sang der Fluss sein Schlaflied.
„Wie geht es Pecan?“
Nocona wusste die Antwort. Er spürte sie in Quanahs Schweigen und sah sie in seinen Augen, die starr ins Leere blickten und nichts zu fixieren wagten.
„Geht er in die andere Welt?“
Der Junge nickte. „Er ist bereits gegangen.“
„In Frieden?“
„Ja“, antwortete Quanah. „Er schlief in meinen Armen ein. Das, was er gesehen hat, muss schön gewesen sein.“
„Dann geht es ihm jetzt besser.“
Nocona fuhr darin fort, das Fell zu streicheln. Naduah war bei ihm, wenn er das tat. Sie sah ihm aus der Ferne zu, und obwohl er sie nicht berühren konnte, flößte ihre Nähe in seinen Gedanken ihm doch Hof f nung ein. Man würde sie gut behandeln. Die Gelben Haare betrac h teten sie als eine der ihren und würden sie dorthin zurückbringen, wo ihr U r sprung lag .
Das Fort Parker mochte es nicht mehr geben. Doch an seiner Stelle waren neue Häuser emporgewachsen.
Er ließ den Gedanken, Naduah und Topsannah nicht mehr wiederz u sehen, in keinem Augenblick an sich heran. Denn in diesem Fall hätte er nicht länger atmen, nicht länger leben können. Alles, was ihm blieb, waren seine Erinnerungen. Und die Gewissheit, dass sie sich wiederfi n den würden.
Daran musste er glauben. Immer. Mit jedem Atemzug. Mit jedem Herzschlag. Er musste stark bleiben. Für Naduah und seine Blume.
„Bleibst du hier, Vater?“ , flüsterte Quanahs Stimme in die klirrende Kälte.
Nocona nickte. „Noch eine Weile. Ich komme gleich.“
„Wir finden sie. Morgen reiten wir los und holen sie zurück.“
Er blickte in die silbrig helle Nacht hinaus. Mondschein und Sterne n licht glitzerte auf dem frisch gefallenen Schnee. Ihm war es gleich. Es gab keine Schönheit, wenn Naduah nicht bei ihm war. Es gab keinen Schlaf, wenn sie nicht neben ihm lag und ihn wärmte .
„Ja“, sagte er leise. „Sie werden bald wieder bei uns sein.“
Quanah ging zurück zu den Zelten der Krieger, die sich im Laufe der Tage hier zusammengefunden hatten, um erneut in den Kampf zu zi e hen. Es waren zweiundvierzig Tipis. Weitere würden hinzukommen. Der Ruf der Noconi war über die Ebenen gehallt, und viele, mehr als er zu hoffen gewagt hatte, waren ihm gefolgt.
Am nächsten Tag kamen die Krieger der Lipan . A m Morgen darauf brach eine große Armee in den Osten auf, angeführt von Nocona. Sie kämp f ten viele Monde lang und mit großem Zorn, zogen weiter, immer weiter, tief hinein in das Land des Feindes. Sie ließen keine Furcht zu und weh r ten sich gegen jede Verzweiflung. Der Ruf der Armee, die mit wilder Entschlossenheit alle errichteten Grenzen durchbrach, eilte ihnen weit voraus.
Monde vergingen. Jahre vergingen.
Doch nirgendwo fand er Naduah und seine Tochter.
Naduah, 1868
D
ie Tauben
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