Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Blut befleckte die Dielen. Jemand hatte, offenbar mit seinen Fingernägeln, Zeichen in das Holz geritzt. Nocona ließ sich auf den Boden fallen und fuhr mit den Fingerspitzen über die flachen Einkerbungen.
Eine Nachricht v on Naduah!
Daran bestand kein Zweifel. Es waren die Symbole der Nunumu, g e heime Botschaften, die sie in der Prärie zu hinterlassen pflegten, um Nachkommende über etwas Wichtiges zu unterrichten. In aller Hast hatte sie sie gekratzt, verzweifelt und ungeachtet der Schmerzen, die sie erlitten haben musste.
Sie bringen mich fort. In den Osten. Ich weiß nicht, wohin.
Nach dieser Botschaft kam immer wieder dasselbe Symbol. Dem Kreuz der Weißen ähnlich, weil es dem entsprechenden Symbol in der Zeichensprache nachempfunden war. Dunkle Flecken begleiteten es. Viel zu viele.
Hilf mir. Hilf mir.
Hilf mir.
Schwindelnd stand Nocona auf. An seinen Fingerspitzen klebten tr o ckene Krümel. Naduahs Blut. Er roch daran, versuchte , es zu schm e cken, es einzuatmen. Ihr Bild in seinem Kopf verblasste im gleichen Maße, wie sich die Wunden des Verlustes immer tiefer in seine Seele gruben. Heute war einer dieser Tage, an denen er kaum mehr atmen konnte. An denen jeder Schlag seines Herzens mühsam war und seine Hoffnung in einem Sumpf aus Verzweiflung versank.
Makamnaya trat in das Zimmer, einen wimmernden, dürren Mann hi n ter sich her zerrend. Nocona zückte sein Messer, noch ehe er es bewusst entschieden hatte. Der Weiße wurde gegen die Wand geworfen und kreischte wie ein Mädchen, als seine Knochen von der Wucht des Au f pralls knackten.
„Wo ist Naduah?“ , schrie Nocona ihm ins Gesicht. Die hässlichen, weißen Wörter verätzten seine Kehle. Als er seine scharfe, blutverkrust e te Klinge gegen die Kehle des Weißen drückte, endete dessen Schrei in einem Gurgeln. „Wo ist die Frau, die ihr Cynthia Ann Parker nennt?“
Speichel rann aus dem Mund des Mannes, der Gestank nach Panik und Urin wurde unerträglich. Nocona fühlte nichts außer Hass. Er drückte noch fester zu, durchtrennte die Haut des Halses und atmete tief den Gestank des Blutes ein, nach dem seine Dämonen so sehr gierten.
„Wo ist sie?“ Er hauchte es leise, trügerisch sanft. „Sag es mir, und ich lasse dich schnell sterben.“
„Lange fort.“ Kaum mehr als ein panisches Würgen kam über die Li p pen des jämmerlichen Bündels. Abgehackt wie das Krächzen eines R a ben stolperten die Worte aus seinem Mund. „In den Osten gebracht. Weiß nicht wohin. Weit in den Osten.“
„Wann?“ Nocona wankte. Ohnmacht wollte ihn übermannen, es e r forderte alle Kraft, aufrecht stehen zu bleiben. „Wann? Sag es mir! Wann?“
Blut rann über seine Arme und durchtränkte das Leder seiner Kle i dung. Der Druck seiner zitternden Hände trieb die Klinge tiefer und tiefer in das Fleisch, doch er hörte matte Worte, hervorgepresst im M o ment größter Verzweiflung.
„Vor drei Monaten.“
Mit wütendem Schwung zog Nocona die Klinge durch die Gurgel des Weißen. Noch ein wenig mehr Kraft, und er hätte ihm den Kopf abg e trennt. Wie ein schlaffes Stück Fleisch sackte der Mann zu Boden.
Drei Monate . Drei Vollmonde.
Zeit hatte in seiner Welt nie Bedeutung gehabt, doch jetzt wusste er, dass vier Jahre vergangen waren, seit man Naduah von ihm getrennt hatte. Vier Ewigkeiten, eine länger als die andere. Und nicht einmal der gewaltigste Kriegszug hatte sie ihm zurückgebracht. Was sollte er jetzt tun? Wohin sollte er seine Hoffnungen lenken? Er fühlte sich müde, ausgelaugt, am Ende seiner Kraft. Kaum gelang es ihm, unter Makamnayas trübem Blick aufrecht stehen zu bleiben.
Solange Naduah bei ihm gewesen war, hatte ihn das Alter umgangen wie Wasser einen stolzen Felsen umging. Er war jung gewesen, kräftig und furchtlos, selbst in einer Anzahl von Jahren, die manch anderem bereits schmerzende Gelenke und graue Haare beschert hatten. Aber in den letzten vier Jahren, in den achtundvierzig Monden seit ihrem Ve r schwinden, stürzte das Alter mit aller Gewalt auf ihn ein. Seine Finger krümmten sich von Tag zu Tag mehr und schmerzten, Silber zog sich durch seine Haare, Falten gruben sich in seine Haut. Sein Körper wurde immer schwerer, immer steifer, als woll t e ihn die Erde selbst in die Knie zwingen.
Quanah schritt durch die Tür und brachte den Raum durch seine Pr ä senz zum Leuchten . Verlor er mit jedem Tag mehr Kraft, so brannte sie in seinem Sohn umso stärker. Hunderte Male waren sie gemeinsam au s gezogen, um einen
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