Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
zweimal hintere i nander, dass die Intensität und Echtheit der Erlebnisse sie schier übe r wältigte. Sara rieb sich die Schläfen, schlafwandelte ins Bad und entließ vor dem Spiegel einen Fluch. Kaltes Wasser, Deo, etwas Schminke, cremefarbene Pumps und ein sandfarbener Hosenanzug. Normalerweise hätte sie sich wie eine Frau aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert fühlen sollen, gefestigt und erfolgreich. Denn das war sie. Na gut, sie war es gewesen. Vor ihrer Reise. Auf ihrer Haut lag noch immer das Leder, samtig und rauchig. Das Gefühl der Moqui Marbles , wie sie zwischen ihren Fingern rollten , war noch immer präsent. Morgentau funkelte auf gelbbraunem Gras.
„Nocona“, flüsterte sie leise.
Der Klang dieses Namens … was berührte er in ihr? Sie fühlte sich elend und zugleich wunderbar, was kaum verwunderte, denn die G e schichte der beiden Liebenden war tragisch schön. Na bitte, eine Erkl ä rung hatte sie schon mal . Dank ihrer Emotionalität verarbeitete sie alle auf sie einströmenden Eindrücke besonders lebendig und farbe n froh. Ein wenig zu lebendig, um gesund zu sein. Makahs Kuss brannte auf ihren Lippen, unter ihren Händen spürte sie, kaum dass ihre Geda n ken zu fließen begannen, die blutbesudelte Brust des jungen Kriegers. Er lebte noch, fand aber nicht die Kraft, zurückzukehren. Es war ihre Au f gabe, ihm zu helfen. Sie entschied darüber, ob er lebte oder starb.
Im Spiegel zeigte sie sich einen Vogel. Sie hatte keine Zeit, Traumg e stalten zu retten. In einer Stunde stand die Konferenz an, sp ä testens dann musste sie wieder auf dem Teppich der Realität gelandet sein.
„Du schaffst das.“ Sie zwinkerte sich im Spiegel zu und band ihr Haar zu einem straffen Pferdeschwanz. Ihre Entschlossenheit, wieder zu ihrer alten Form zu finden, zerfloss zu nichts, als sie die Visitenkarte aus der Jacke fischte. Sämtliche Nervenbahnen ihres Körpers kribbelten, als wäre dieses kleine Stück Pappe unter Strom gesetzt. Es war nur höflich, ihr Kommen anzukündigen. Und doch starrte sie geschlagene zwei M i nuten auf ihr Handy, ehe sie es schaffte, die Nummer zu wählen. Was sollte sie sagen? Und warum zum Teufel machte sie sich so viele Geda n ken? Es gab Tage, an denen sie mit drei Dutzend Menschen telefonierte, unang e nehme bis unerträgliche Exemplare inbegriffen. Die Frau, die in Nerv o sität zerfloss und kurz davor war, auf ihren Fingernägeln heru m zukauen, war nicht sie selbst.
Fünfmal Freizeichen. Achtmal, zehnmal. Kein Anrufbeantworter.
Sara legte auf. War sie erleichtert? Enttäuscht? Makah war ein Fre m der. Ein unbekannter Mann, der durch ihr Leben geweht war und höchs t wahrscheinlich nicht mehr auftauchen würde. Es war idiotisch, ihm e i nen solch großen Raum in ihren Gedanken und Gefühlen zu verscha f fen. Alles, was es einbrachte, waren abgefahrene Träume und in die Knie brechende Professionalität.
Vermutlich war es besser, ein Taxi zu rufen. Auf der Konferenz würde man ihr Unmengen an Kaffee und Butterkeksen kredenzen, also b e schränkte sich Sara auf das spartanische Programm: ein Glas Milch, ein Anruf bei der Taxi z entrale und ein hastig h in untergeschlungener Sch o koriegel. Erstaunlich, dass sie bei ihrer Ernährung noch nicht aufgega n gen war wie ein Hefekuchen.
Zwanzig Minuten zu spät saß sie auf dem Rücksitz eines vollgemül l ten Wagens. Das Handy bimmelte ununterbrochen, doch sie ignorierte es. Ruth musste lernen, sich in Geduld zu üben. Ihre Chefin trat die Tuge n den der Pünktlichkeit und Verlässlichkeit am laufenden Band mit Füßen, also war es nur gerecht, dass sie diesmal – wohlgemerkt zum ersten Mal – auf Sara warten musste.
Der penetrante Patchouli-Geruch, der das Taxi durchströmte, war nicht so Nerv tötend , wie er hätte sein müssen. Sie ignorierte die scheu ß liche Gitarrenmusik mit einer Leichtigkeit, die sie verblüffte, und kla m merte den typischen New Yorker Morgenverkehr aus ihrer Wahrne h mung aus. Selbst der Fahrer, der mit schmutzigem Grinsen schwor, ihre Kleider würden sich fantastisch auf seinem Schlafzimme r boden machen, tangierte sie nicht weiter und gab, frustriert ob ihres penetranten Schwe i gens, seine plumpe Flirterei alsbald auf.
Sie blinzelte in den Sonnenschein hinaus. Er glitzerte auf den ersten grünen Knospen und spiegelte sich in gläsernen Türmen. Die kläglichen Grünflächen, die man wachsen ließ, schmückten sich mit violetten und weißen Krokussen. Hier regierte längst der Frühling,
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