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Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Titel: Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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einen Hirsch in den Sand, so schön und l e bensnah, dass sie bei allem Staunen ihre Angst vergaß. Dem Hirsch fol g te ein Bison und dem Bison ein Falke. Als Mahto schließlich zu ihr au f blickte, war die unerträgliche Last auf ihren Schultern leichter geworden. Zum ersten Mal wagte sie es, den Indianer genauer anzusehen. Mitte r nachtsblau schimmerten seine Haare im Sonnenlicht. Die meisten Fra u en hätten ihn darum beneidet. Er roch nach Feuerrauch, Pferd und Sa l bei. Auch ein wenig nach Schlamm. Cynthia erinnerte sich an jenen Tag, da eine Gruppe Kiowa in ihr Fort gekommen waren. Gemeinsam mit ihrer Mutter hatte sie im Krämerladen die Zutaten für ein kärgliches Weihnachtsessen zusammengesucht, als zwei mit Pelzen beladene Wilde in den Laden gekommen waren. Gekleidet in gewöhnliche Hosen und Hemden, doch mit Federn im Haar.
    „Felle habe ich genug“, beschwerte sich der Krämer. „Bringt mir lieber ein paar eurer Frauen. Sowas verkauft sich besser.“
    Die angewiderten Blicke der Menschen waren ihr in guter Erinnerung geblieben. Man hatte die Kiowa begafft wie räudige Hunde. An Mahto aber war nichts Widerliches. Ebenso wenig, wie an einem geschmeidigen Luchs oder an einem Adler etwas Widerliches war, auch wenn manche Menschen diese Geschöpfe lieber tot sahen als lebendig. Seine Haut schimmerte bronzefarben. Auf seiner Brust waren links und rechts strichförmige Narben zu sehen, beide vollkommen gleich geformt. We l che Verletzungen verursachten zwei völlig gleiche Narben? Sie hätte gern gefragt, wagte es jedoch nicht.
    Ihr Blick glitt wieder höher. Mahtos Nase war gebogen wie der Schn a bel eines Falken. Seine Lippen schienen immer zu lächeln, und seine Augen waren genauso dunkel und sanft wie die des Jungen. Nocona, der Wanderer.
    Bald würde sie ihn wiedersehen. Noch heute Abend. Was würde sie erwarten? Was würde sie ausrichten können? Sie war nur ein Kind. Ein ungläubiges, ungehorsames Kind, das ihrem Vater hatte davonlaufen wollen.
    „Nita Čaze ki Taku he?“ Mahto deutete auf sie. Sicher wollte er wissen, wie sie hieß.
    „Cynthia“, antwortete sie leise.
    „Tsini tia?“
    „Nein. Cynthia. C-y-n-t-h-i-a.“
    „Tsini tia.“
    Mahto lächelte zufrieden. Noch einmal deutete er auf seine Brust, hob anschließend beide Hände mit ausgestreckten Fingern, ballte sie zu Fäu s ten zusammen und öffnete sie wieder. Als er diese Geste zweimal wi e derholt hatte und zuletzt nur fünf Finger hochhielt, deutete er auf sich. Cynthia glaubte zu verstehen. Er war also fünfundvierzig Jahre alt.
    „Ich bin neun.“ Sie zeigte die entsprechende Anzahl Finger und kniff ihre Beine zusammen. Ein dringendes Bedürfnis machte sich bemerkbar, doch sie schämte sich zu sehr, um ihm nachzugehen.
    „Ah!“ Mahto hatte sie trotzdem durchschaut.
    Er nahm sie bei der Hand und führte sie zum Fluss. Dort, wo der Strom eine sanfte Biegung vollführte, standen die Birken und Büsche besonders dicht und neigten sich über das Wasser, sodass sie eine Art Vorhang bildeten. Mahto nickte ihr aufmunternd zu und ging zurück zu seinem Pferd. Cynthia starrte ihm hinterher. Er machte es ihr leicht, zu entkommen. Vielleicht war sie gar keine Gefangene. Aber wohin hätte sie gehen sollen? Nichts als endlose Prärie umgab sie, und selbst wenn sie den Weg zurück gefunden hätte, gab es nichts mehr, was dort wartete. Kein Zuhause, keine Familie. Ebenso gut konnte sie bei Mahto bleiben.
    Cynthia zog ihre Unterhose aus, legte sie auf einen Stein, raffte das Hemd um ihre Taille zusammen und ging in das Wasser. Es war kühler als erwartet. Eine glucksende Strömung zog an ihr, winzige Fische huschten um ihre Beine. Libellen schwirrten über das hohe Gras am anderen Ufer. Fabelwesen mit regenbogenfarbenen Flügeln und stra h lend blauen Leibern. Das Laub der Birken raschelte, ein Zaunkönig zwi t scherte. Sonst war es still. So unglaublich still. Zuhause am Navasota River waren immer Stimmen zu hören gewesen. Das Muhen von Kühen und das Grunzen von Schweinen. Pferde, Kinder, Schreie. Hier aber war es so still wie am ersten Tag der Schöpfung.
    Vielleicht war sie tot und im Paradies eingekehrt. Trotz allem, was sie getan und gedacht hatte. Cynthia schloss die Augen und ließ den Fluss an sich vorbeiströmen. Sie trieb auf ihm wie ein Blatt, leicht und sorglos. Wieder sah sie Noconas Gesicht vor sich. Seine warme Schönheit besaß etwas so Tröstendes, dass sie diese Erinnerung wie einen Schatz festhielt und ihren ganzen Kopf

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