Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
„Du hältst Honigr e den über Frauen? Kümmere dich lieber um dein eigenes Leben. Du bist älter als ich und hast noch nie ein Mädchen in deine Decke gehüllt. G e schweige denn, dass du neben einer gelegen hast.“
„Was kann ich dafür, wenn sie jedes Mal schreiend davonlaufen?“ Icabu zog eine säuerliche Miene. „Meine Kriegslanze ist ihnen zu gewa l tig. Du magst dieses Blauauge, nicht wahr? Sie müsste dich hassen und dir die Augen auskratzen. Stattdessen gebärdete sie sich wie ein wildg e wordenes Präriehündchen, als man sie von dir trennen wollte. Vielleicht hat sie ja, während du schliefst, unter deinen Schurz gelugt und etwas ges e hen, dass ihr den Verstand vernebelt hat.“
Nocona winkte ab und marschierte zu seinem Zelt zurück. Icabus nicht enden wollende Sticheleien verfolgten ihn, doch er kümmerte sich nicht darum. Später, wenn er wieder ganz zu Kräften gekommen war, würde er ihn zu einem Wettkampf herausfordern und ihm zeigen, wer nicht nur mit Worten, sondern auch mit Fäusten umgehen konnte. Jetzt war er zu müde. Schwer wie ein Felsklotz sank er neben dem erlosch e nen Feuer nieder und rollte sich zusammen.
Ein Blutband … ein weißes Mädchen, das ihm das Leben gerettet ha t te. Und dem er das Leben gerettet hatte. Zwei Feinde, auf ewig mite i nander verbunden.
Die Dunkelheit des Schlafes kam, kaum dass er die Augen schloss, doch als sein Bewusstsein begann, in angenehme Tiefen zu entschwi n den, brach die Hölle auf ihn ein. Jemand schlug das Fell vor dem Ei n gang zurück und entließ einen Dämon ins Zelt, der unvermittelt zu t o ben begann. Im letzten Moment brachte sich Nocona mit einem Hech t sprung in Sicherheit, als das Fohlen über die Feue r stelle setzte und den Kessel mitriss. Es prallte gegen die Zel t wand, stürzte, strampelte mit d en überlangen Beinen und sprang wieder auf, um wie ein Wirbe l wind im Kreis heru m zujagen .
„Hoh.“ Nocona streckte d ie Arme aus. „Hoh, ganz ruhig.“
Panisch rollte das Fohlen die Augen, vollführte einen wilden Sprung, wieherte und katzbuckelte durch das Zelt. Klappernd flogen Petas Töpfe durcheinander. Der dunkelblaue Stoff nebst den Beinlingen wurde von der Schnur gerissen, Schalen und Holzscheite purzelten durch das Zelt. Draußen klang es, als rollten sich Makamnaya und Icabu vor Lachen auf dem Boden, während Peta in höchsten Tönen zu schimpfen begann.
„Wartet nur!“, spie Nocona ihnen entgegen. „Eure Hintern werden noch heute Abend mein Messer zu spüren bekommen.“
Das Gackern nahm an Lautstärke zu. Ein Fluch, das laute Klatschen von Haut und Haut, und zumindest Icabu suchte den Geräuschen nach zu urteilen sein Heil in der Flucht. Erschrocken vom Knall der Ohrfeige blieb das Fohlen wie angewurzelt stehen.
„Ganz ruhig, kleiner Grauer.“
Er tat einen Schritt, ohne dass das Tier vor ihm zurückwich. Endlich konnte er es berühren. Langsam ging er vor ihm in die Knie, strich über den bebenden Pferdeleib und raunte ihm beruhigende Worte ins Ohr. Er streichelte Hals, Brust und Kruppe, umfasste nacheinander die dünnen Beine und fuhr langsam an ihnen auf und ab. So lange , bis er spürte, wie das Zittern langsam verebbte.
„Siehst du? Alles ist gut. Weißt du was, kleiner Grauer? Der erste Skalp, den ich nehmen werde, gehört dem dürren Wiesel da draußen. Ich werde ihn an deinen Zügel binden, sobald du groß genug bist, ihn zum Gespött aller durch die ganze Prärie zu tragen.“
Das Fohlen schmiegte sich an ihn, als hätte es sich in diesem Auge n blick in sein Schicksal gefügt. „Wie soll ich dich nennen, kleiner Grauer? Willst du mir deinen Namen sagen?“
Von fern glaubte er, einen Falkenschrei zu hören. Damit war die En t scheidung gefallen.
„Ich nenne dich Cetan. Du wirst mein Falke sein. Wachse schnell, denn wir müssen auf eine lange Suche gehen.“
Makah, 2011
E
in gewaltiger Lärm ließ ihn hochschrecken. Desorientiert glaubte Makah, sich noch in dem Zelt zu befinden. Seine Sinne, zurückgeblieben in der anderen Welt, narrten ihn mit dem Geruch nach Pferd und dem Gefühl von Pelz unter d en Fingerspi t zen, bis die Wirklichkeit alle Kraft aus dem Traum gesaugt hatte. In su r realen Momenten, die beide Dimensionen miteinander ve r flocht, sah er die Holzwände, den Schrank, den Tisch und den Herd, Bücherstapel und Schränke voller Werkzeug , überlagert vom schwi n denden Schatten eines Tipis und dem ursprünglichen Aroma nach Fe u errauch und ungegerbten
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