Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
schwieg u n ter einer erstickenden Schicht, als hätte sich die Welt entschlossen, in einem i m merwährenden Schlaf zu verharren. Makah ließ sich in die Stille fallen, leerte seinen Geist und lauschte dem Knirschen, das in einer gr o ßen Leere widerzuhallen schien. Sanft rieselten die Flocken auf ihn ni e der. Nebel verwischte die Konturen der kahlen Bäume. Die Stimmung eines verwunschenen, leblosen Zauberreichs, durch das er sich wie ein Geist bewegte. Wie ein Abenteurer auf seiner großen Suche, der in fremde Dimensionen vordringt.
Makahs Gedanken wanderten ziellos umher, versuchten, wirbelnde Bruchstücke zu einem logischen Ganzen zusammenzufügen . Ein Brief, in dem der Sohn um die Gebeine der toten Mutter bittet. Eine abgegri f fene Schreibfeder. Ein kleines, weißes Mä d chen, dessen Blut sich mit dem seines Feindes vermischt. Es war kein Zufall, dass er auf Sara g e troffen war. Eine A b sicht lag dahinter. Aber welche? Wie magisch war ihm der Drang erschienen, die Sonderausstellung zu besuchen, gleichgü l tig ob des riesigen Umwegs, den er hatte fahren müssen. Und ebenso magisch war das Bedürfnis gewesen, sich von Sara fotografieren zu la s sen. Er wollte in ihrem Gedächtnis haften bleiben. Spuren in ihrem L e ben hi n terlassen. Selbst, wenn sie sich nie wiedersahen.
Irgendwann, als er bereits glaubte, das Haus der Witwe sehen zu kö n nen, tauchte ein dunkler Schatten keine fün f zig Meter neben ihm auf. Cezi verharrte, noch ehe Makah an den Zügeln zog. Ein Wagen zockelte über die notdürftig geräumte Straße, die von Lawton ins Reservat führte. Es sah ganz nach einem Taxi aus. Niemand der hier lebenden Menschen konnte sich ein Taxi leisten. War es die Frau aus dem Museum? Paral y siert sah er dem Wagen hinterher. Dieses Lied, das das Mädchen in se i nem Traum gesungen hatte … die Worte des Geistwesens …
Du liegst im Sterben, Wanderer. Sie ist in diesen Momenten bei dir. Sie wird i m mer bei dir sein. Selbst über dieses Leben hinaus.
Das goldbraune Haar des Kindes, seine türkisfarbenen Augen. Es hä t te Sara sein können. Sara als kleines Mädchen. In ihm regte sich etwas Seltsames. War es wirklich nur ein Traum gewesen? Jedes einzelne Zelt des Dorfes war ihm so vertraut, selbst jetzt, da er in die Wirklichkeit zurückgekehrt war. Er kannte die beiden Jung s , die ihn erwartet hatten, er kannte Kehala und den Fluss. An seiner Biegung stand das Zelt der Medizinfrau. Daneben graste ihre weiße Stute. Abseits des Dorfes gab es eine aufgewühlte Fläche, auf der man Lacrosse spielte, und dort, wo die Walnussbäume sich an das Wasser drängten, hatten Bienen ihre Nester in die Äste gebaut. Durch das Heulen des Windes hörte Makah helles Geklimper. Messingkegel, an Beinlingen befestigt , die bei jedem Schritt sangen. Dazwischen hohl klingende, melodische Geräusche. Zusa m mengebundene, über dem Zelteingang aufgehängte Rehhufe.
Kaum lauschte er bewusst nach diesen Geräuschen und versuchte, sie mit dem Verstand zu begreifen, verschwanden sie aus seiner Wahrne h mung. Instinktiv tastete er über seine Brust. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Wie von einer frischen Narbe. Doch als er Jacke und Hemd aufknöpfte, war natürlich nur unversehrte Haut zu sehen . Sonst n ichts. Kein Mal, kein Zeichen.
Atemlos blickte er auf und musste erkennen , dass der Schnee den W a gen längst verschluckt hatte.
Sara, 2011
D
ie Art, wie der Mann auf dem Rücken des Tieres saß. Selbstvergessen wie eine Illusion aus fernen Zeiten. Sara hätte schwören können, dass es Makah war. Seine G e stalt verschwand im Vorhang des fallenden Schnees wie ein Traumgebi l de und ihre Frage, ob er es wirklich war, blieb unbeantwortet. Erschü t tert sank sie zurück in den Sitz. Seine schlanke Gestalt, sein wehe n des Haar. Schnee, der darin glitzerte.
„ Déjà-vu “, flüsterte sie und presste die Reisetasche an ihre Brust, als wäre sie ein Haltepunkt in einer davontreibenden Re alität. Vor ihr tauc h ten die er sten Häuser des Reservats auf , gezeichnet vom allgegenwärtigen Geldmangel . Es war ein Anblick, der Sara nach all ihren Reisen vertraut war. Inzwischen empfand sie keine Wut mehr und keine wilde Emp ö rung, nur etwas, das sich anfühlte wie stille, schicksal s ergebende Akze p tanz, sofern man himmelschreiende Ungerechtigkeit jemals akzeptieren kon n te.
Ohrenbetäubendes Geknatter schreckte sie auf. Ein grauhaariger Mann auf einem Moped raste vorbei. Auf dem Rücken seiner Lederjacke
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