Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
aufgequollene Froschleiche, ganz zu schweigen von dem wide r wärtigen Geschmack, der seinen Mund ausfüllte und an verfaulte Siebe n schläfer erinnerte. „Was ist mit dem Mädchen?“
Peta schmunzelte. „Sie ist wieder im Dorf der Wasps. Mahto wäre gern noch geblieben, aber zu viel Arbeit wartete auf ihn. Die B i sonjagd rückt näher.“
„Haben er und Huka sie bei sich aufgenommen?“
Peta bückte sich mit der Schnelligkeit einer Schlange, hob einen Stein und warf ihn nach einem Hund, der soeben darin begriffen war, gegen ihre halb fertige Webdecke zu pinkeln. Jaulend gab das Tier Fersengeld. „Das Mädchen hat dich sehr beeindruckt, nicht wahr?“ Ein verschmit z tes Glänzen huschte durch ihre Augen, als sie sich ihm wieder zuwandte. „Kein Wunder, denn euer Blut hat sich vereint.“
Er runzelte die Stirn. „Was meinst du?“
„Die Kugel verletzte sie ebenfalls. Als sie auf dir lag und sich an dich klammerte, vermischte sich euer Blut.“
Nocona war sprachlos. Dieses Band war das engste, das unter Me n schen geschlossen werden konnte. Es war magisch, unsterblich und durch nichts zu lösen. Von nun an war das Mädchen seine Blutsschwe s ter. Das Große Mysterium hatte sie vereint bis ans Ende ihrer Tage und über das Leben hinaus.
„Sag schon“, drängelte Peta. „Was denkst du von ihr?“
„Wir sind miteinander vereint.“ Nocona musste die Worte laut au s sprechen, um sie zu begreifen. „Im Traum erschien mir Ptesawin in Gestalt des Mädchens. Sie brachte meine Schutzgeister und führte mich zurück zu euch.“
Peta rang die Arme wie zum Gebet. „Dann ist das geschehen, was Huka vorhergesehen hat. Beim Großen Geist, sie wusste, dass nur dieses Kind dich zurückholen konnte. Deine Schwester im Blute.“
Nocona schlang die Arme um seinen Brustkorb. In ihm nagte noch immer das kalte, beklemmende Gefühl des überwundenen Todes. Me h rere Quohadis starrten zu ihm herüber, warteten ungeduldig auf ein einladendes Zeichen, doch Nocona fühlte sich noch nicht bereit für ihre Neugier.
„Hat man Tatezis Herz am Fluss begraben?“ , fragte er.
„Ja. Makamnaya brachte es mit und befreite seine Seele.“
„Das ist gut.“ Er verschloss sein Herz vor dem aufklaffenden Schmerz. „Wie ist der neue Name des Mädchens?“
„Sie hat noch keinen. Wenn du nur gesehen hättest, wie sie kämpfte, als Mahto sie fortbringen wollte. Tapfer und wild wie eine Wölfin.“
Nocona lächelte. Wärme floss durch sein Herz und milderte den Ve r lust seines treuen Freundes. „Ich will ein wenig allein sein. Danke für alles, Mutter.“
Peta nickte, strich ihm über das Haar und deutete zum Fluss hinunter. „Du bist ganz verschwitzt, mein Sohn. Geh und nimm ein Bad. Es wird dir guttun .“
N ocona hielt d en Blick ins Leere gerichtet und sah niemanden an. Alles schien sich verändert zu haben. Die Erde, auf der er lief. Der mi l chig blaue Himmel. Das trockene, unter seinen Füßen knirschende Gras. Glutheißer Wind strich durch die Feigenkakteen, leise kratzten die Fleischschaber, mit denen die Frauen Häute säuberten. Umhertollende Kinder lärmten. Eine der zahmen Gabelantilopen verpasste einem vo r beilaufenden Hund einen Tritt, sodass das Tier winselnd hinter einen Stapel getrockneten Dungs kroch. All das zeigte Nocona, dass er zurüc k gekehrt war, und doch war das hier nicht seine Wirklichkeit. Ein Teil seiner Seele saß noch immer unter den Pekannussbäumen der anderen Welt.
Irgendwo in der Nähe gerbte jemand Häute. Der beißende Gestank des dafür verwendeten Mittels aus Schwarzlindensaft, Biso n hirn, Fett und Leber drehte ihm den Magen um. Erst am Flussufer fand er Erl ö sung vom Gestank der Vergänglichkeit. Hier duftete es nach reife n den Pflaumen, süßen Beeren und Salbei. Die Hitze des Sommers hatte das Wasser blassgrün verfärbt, über das Ufer neigten sich Zwerge i chen und Pappeln .
Nocona sank in das Gras, warf die Decke beiseite und ließ flirrende Sonnenhitze über seine Haut kriechen. Er wollte nichts anderes als den Wind in seinem Haar spüren und nach dem zurückgebliebenen Teil seiner Seele forschen, doch die Bilder seines ersten Kampfes schossen unerbittlich ihre Pfeile auf ihn ab.
Das Fort, der Schlamm und der Dreck. Weiße, die auf der enthäuteten Erde dahinvegetierten , freiwillig in finsteren, eckigen Hütten haus ten und alles, was sie umgab, mit Wut und Hass behandelten. So viele der mag e ren, ausgelaugten Gestalten hatte er get ö tet, als wären es keine
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