Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
entzifferte sie die Worte: Wenn ihr das lesen könnt, ist meine Frau ru n tergefallen.
Sara grinste. Elend und Humor waren Freunde, die einander treu erg e ben waren. Vor einem blau gestrichenen, zweistöckigen Holzhaus mit großzügiger Veranda brachte der Fahrer den Wagen zum Stehen. Ihm fiel vor Begeisterung die Kinnlade nach unten, als Sara ihm ein üppiges Trinkgeld zugedachte. Er murmelte eine Salve an Komplimenten und höflichen Floskeln, öffnete ihr die Tür, nahm Tasche und Koffer und schleppte beides zur Veranda.
Gemeindehaus stand auf einem windschiefen Schild neben der Tür.
„Schaffen Sie es mit heiler Haut zurück?“ Sara fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, ihm die weite Fahrt bei einem solchen Wetter zug e mutet zu haben. Noch dazu wurde der Schneefall zunehmend dichter. Aber dieser Kerl hatte so energisch darauf bestanden, sie heute noch abzuliefern, als wäre jedes Warten auf bessere Witterung ein Angriff auf seine Männlichkeit. „Ich bezahle Ihnen ein Zimmer. Dann können Sie morgen früh fahren.“
„Kein Problem, M a ’ am. Hab schon ganz andere Katastrophen mitg e macht. Machen Sie ’ s gut.“
Der Lebensmüde setzte sich ins Taxi und brauste davon, als wären meterhohe Schneewehen nicht von Bedeutung.
Nervosität schnürte ihre Kehle zu. Wie lange würde sie diesmal bra u chen, um das Vertrauen der Bewohner zu erlangen? Sie hatte eine Menge Erfahrungen gesammelt, doch die Unsicherheit, verbunden mit dem Eindringen in eine Welt, in der man sie nicht wollte, hielt sich hartnäckig. Durch die Scheiben des Gemeindehauses fiel heimeliges Licht. Drei alte Frauen standen an einem Sperrholz-Tresen und füllten Formulare aus.
Sara trat ein. Ehe es ihr gelang, die vom Sturm geschüttelte Tür wieder zu schließen, war der Holzboden von einer Schicht Schnee b e deckt. Finstere Blicke fixierten sie. Na wunderbar. Schwierigkeitsgrad fünf, wie es aussah. Wobei sechs die schlechteste Note darstellte. Was soll ’ s, sie war schon über höhere Mauern der Ablehnung geklettert. Dennoch war es diesmal etwas anderes. Sie hatte ein Ziel vor Augen, von dem ihr Se e lenheil abhing, auch wenn das völlig idi o tisch klang.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich würde gern mit jemandem namens Is a bella sprechen. Ist sie hier?“
„Dann musst du mit mir reden.“
Erwartungsgemäß wurde ihre Frage von der Frau hinter dem Tresen beantwortet. Sie war groß und hatte die Grenze zur Magerkeit auf e r schreckende Weise überschritten. Ihre nussbraunen Augen mussten einmal sehr schön gewesen sein, jetzt waren sie umschattet von Ringen, lagen in tiefen Höhlen und hatten jeden Glanz verloren. Auf gewisse Weise war diese Frau dennoch hübsch. Ihr stolzes Raubvogelg e sicht und das hüftlange, dichte Haar milderten die Ausgezehrtheit ihres Körpers und erzählten von verlorener Schönheit.
„Was willst du hier?“ , fragte Isabella, ohne sich mit unnötigen Dingen wie Höflichkeit aufzuhalten. „Warum willst du mich sprechen?“
„Es geht um Makah.“ Sara lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie ha t te einiges erwartet, doch die abrupte Verfinsterung im Gesicht ihres Gegenübers war geradezu spektakulär. Irgendwo schnaufte jemand a b fällig. „Können Sie mir weiterhelfen? Wo finde ich ihn?“
„Nirgendwo.“ Das Wort klang wie das Zuschnappen einer Klappe r schlange. Und schlangenhaft war auch Isabellas Blick. „Er ist unterwegs und kommt so schnell nicht zurück. Worum geht es?“
Sara seufzte. Wie umschiffte sie die Felsen des Misstrauens? Am be s ten mit der Wahrheit. „Es geht um die Fotos, die ich von ihm gemacht habe. Ich muss ihm einige Fragen dazu stellen.“
„Das soll wohl ein Scherz sein.“
Isabella stützte ihre Ellbogen auf den Tresen. Jetzt war sie keine Kla p perschlange mehr, sondern ein Raubvogel, der sich über seine frisch geschlagene Beute kauert. Die drei alten Frauen gafften mit arglistig fu n kelnden Augen. Verschwinde , drückten sie ohne Worte aus. Wir wollen dich hier nicht.
„Er würde sich niemals fotografieren lassen“, zischte Isabella. „Also mach, dass du wegkommst. Makah hat keinerlei Interesse an Frauen wie dir.“
Sie unterdrückte einen Seufzer. Wenn man es genau betrachtete, war Isabellas Abneigung alles andere als an den Haaren herbeigezogen. Eine Menge weiße r Touristinnen kamen in dieses Land, um nach einer exot i schen Liebschaft zu suchen und ihre Sehnsucht nach wilder Romantik zu befriedigen. Oder, um es knapper auszudrücken, mit einem
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