Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
klein, als die Kriege r gruppe über die Hügel auf sie zugeritten kam. Das Herz schlug bis zum Hals, denn sie hoffte, Nocona wäre unter ihnen. Vier Jahre hatte er mit seinem Vater die südl i chen Wälder bereist, um zu lernen, was einen perfekten Jäger ausmachte. So lange Zeit, in der sie ihn nicht gesehen hatte. Plötzlich erschien es ihr, als wären ganze L e ben verstrichen . S ie fragte sich , ob er sich wohl sehr verändert hatte. Der Eintopf war vergessen. Stocksteif blickte sie den Kriegern entgegen.
Adlerfedern und Fächer aus Stachelschweinborsten schmückten die Haare der Krieger, Fransen und Messingkegel ihre Beinlinge und Moka s sins. Sie sah vier Meter lange, mit Otterfell und Federn bestückte Lanzen, prachtvolle Köcher aus Wolfspelz, deren Riemen sich um nackte Obe r körper schlangen, bunt bemalte Pfeile und hell blinkende Silberplättchen, die Brustharnische und Zöpfe zierten.
Die erste Gruppe zog vorbei, ohne dass sie Nocona unter ihnen au s machen konnte. Die zweite ebenso. Dann bildete eine Schar aus fünf Kriegern das Ende der Prozession.
„Da ist dein Wanderer“, flüsterte Huka. „Sieh nur, was für ein Mann er geworden ist.“
Sie vergaß zu atmen. Der Junge … der Mann, mit dessen Blut sich das ihre vereint hatte. Ihr wurde schwind e lig und sonderbar zumute. Pulsi e rende Hitze kroch durch ihren Körper, als hätte sie zu lange in der he i ßen Sonne gelegen. Inmitten der Kriegerschar erschien ihr der Wanderer wie ein Wolf unter Kojoten. Wie ein Adler unter Finken. Noconas G e sicht war reglos, als er an ihr vorbeiritt , doch sie nahm es ihm nicht übel, denn sie sah, dass seine Gedanken in weiter Ferne weilten.
In den letzten vier Jahren hatte er alles Jungenhafte hinter sich gela s sen. Während die meisten der Krieger von eher kleinem Wuchs waren, mit kurzen, sehnigen Gliedmaßen und den für Nunumu typischen, ru n den Gesichtern, erkannte man in Noconas Gestalt das Blut seiner texan i schen Großmutter. Seine Größe war für weiße Maßstäbe nicht beach t lich, wohl aber für die des Stammes, sodass er jeden anderen Mann um mindestens einen halben Kopf überragte. Das Gesicht mit der hauchfein gebogenen Nase war schmal und vornehm, voll stolzer Würde, und seine Haut glich dem goldbraunen Honig, den man nur in den Bienennestern unterhalb des Tafelbergs fand.
Skorpione krabbelten in ihren Eingeweiden. Der Anblick dieses Ma n nes machte ihr Angst. Würde er vergessen, was sie miteinander verband, wenn zahllose Frauen darum buhlten, von ihm erwählt zu werden?
Jetzt, da er ihr immer näher kam, sahen ihre Augen weitere Details. Die Querstreifen auf seinem Lendenschurz erzählten von einem Du t zend errungene r Coups, aufgemalte Handabdrücke und Hagelstürme bedeckten die Kruppe seines Hengstes und zeichneten ihn als tapferen Krieger aus. Dem damaligen Überfall auf ihr Fort mussten weitere g e folgt sein. Kämpfe, in denen Nocona bewiesen hatte, dass er dem wilden Gemüt der Quohadis Ehre machte. Kämpfe, in denen viel Blut geflossen und viel Tod gesät worden war.
Doch nichts, was geschehen war, hatte die Ruhe des Wanderers aus ihm h in ausreißen können. So versunken war er in seiner Gedankenwelt, dass sie am liebsten vorgesprungen wäre, um seinem unnahbar stolzen Gesicht ein Lächeln zu entlocken.
Ich bin hier! , wollte sie rufen. Ich bin hier! Deine Blutsschwester. Siehst du mich nicht?
Ohne den Blick auch nur einmal zur Seite zu wenden, ritt Nocona an ihr vorbei. Das mitternachtsblaue Haar, das ihm lang und schwer über den Rücken fiel, war geschmückt von drei Adlerfedern. Eine rot G e punktete, die Verwundung in der Schlacht symbolisier te . Zwei Gezackte zum Zeichen, dass viele Feinde durch seine Hand g e storben waren.
„Er hat dich nicht vergessen“, raunte Huka. „Glaube mir, Tochter.“
„Und wenn es so wäre, würde ich niemals um ihn herumtanzen wie eine Taube.“
„Dein Wanderer ist etwas Besonderes.“ Huka schüttete die Rübe n stückchen in den großen Kessel und legte Zweige nach, um das Feuer zu schüren. „Genau wie du etwas Besonderes bist. Solche Menschen finden einander. Euer Blut hat sich vermischt, und diese Verbindung spürt er jeden Tag und jede Nacht. Du bist in seinen Gedanken. Für immer und ewig. Seine Großmutter sah dir übrigens recht ähnlich. Sie wurde wie du bei einem Überfall geraubt und fand bei den Quohadis eine neue He i mat. Noconas Großvater war berauscht von ihrer Anmut. Und die hat sie an ihren Enkel
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