Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
dachte?
Plötzlich spürte Naduah ein Kitzeln im Nacken. Icabus und Makamnayas Blicke fixierten sie, während Ersterer ein derart breites Grinsen zeigte, dass sein Gesicht in Falten gelegt wurde. Sollten doch Taranteln ihre Eingeweide fressen! Wütend kaute sie auf ihrer Keule herum und tat, als wäre Nocona völlig uninteressant. Blieb nur zu ho f fen, dass man ihm nichts von ihrer heimlichen Beobachtung erzählte. Oder wünschte sie sich viel eher, dass sie es taten?
Naduah war verwirrt. Besser, sie dachte nicht weiter darüber nach. Im Augenwinkel sah sie, dass die drei Freunde inzwischen wieder nebene i nander saßen, in das Feuer starrten und ihre Pappelblätter rauchten. Was dachte Nocona in diesen Momenten? Was erhoffte er sich und wovor fürchtete er sich? Manchmal wirkte sein Gesicht zu starr. Zu maskenhaft. Als gäbe es irgendetwas, das ihn quälte.
Unter dem Atem der nach Winter duftenden Kälte zog sie ihren K a ninchenumhang fester um sich. Allein der Anblick von Noconas nac k tem Oberkörper ließ sie frösteln, und wieder nutzte sie jeden günstigen Augenblick, um ihn anzustarren. Der Schein der Flammen übergoss gewölbte Muskeln mit flüssiger Bronze. In Gedanken malte sie sich aus, wie es wäre, ihn zu berühren, jetzt, da er kein Junge mehr war, sondern ein Mann. Wie es wäre, sich an ihn zu schmiegen und die Lippen über seine Haut gleiten zu lassen. Die Tatsache, dass sie es einst getan hatte, in ihrem schwachen alten Leben, erschien ihr fern und sonderbar.
Naduah seufzte. Sie warf die Hühnerkeule einem in der Nähe döse n den Hund zu, der sein Glück kaum fassen konnte. Ihr Hunger war wie weggeweht. Vielleicht sollte sie kurzerhand zu den Männern gehen und um einen Platz an ihrer Seite bitten. Der Gedanke gewann an wilder Verführungskraft. Sie war eine stolze Frau, die wusste, was sie wollte. Doch was, wenn sie Spott oder Abweisung in Noconas Augen entd e cken würde? Was, wenn Makamnaya und Icabu sich vor seinen Augen über sie lustig machten? Eine solche Schmach war unerträglich. Ze r knirscht blieb sie, wo sie war, betrachtete den aufgehenden Vollmond und schalt sich eine Närrin für ihre Träumereien.
Stunden vergingen, die Nacht wurde tief und verwunschen. Sie tauchte in oberflächlichen Schlaf ab, als wildes Gezeter sie aufschreckte. Irgend etwas versetzte Icabu in Rage. Er sprang auf, schimpfte und zankte, überschüttete Nocona mit Worten, die wie das Knurren eines Hundes klangen, warf sich schlussendlich mit einem Schnaufen herum und ve r schwand in der Nacht. Makamnaya bemühte sich, seinen aufgebrachten Freund zu besänftigen. Es nützte nichts. Noconas sonst allgegenwärtige Ruhe war wie weggeweht. Wild gestikulierend fuhr er hoch, zertrat sein halb aufgerauchtes Tabakblatt und marschierte mit ausladenden Schri t ten zu den Mustangs hinüber.
„Sieh es ihm nach“, rief der dicke Krieger. „Als er ein Baby war, fraß ein Kojote sein Gehirn. Er kann nichts dafür.“
Nocona vollführte eine abwinkende Geste. Fahrig streichelte er seinem Hengst über den Hals, knurrte einen unverständlichen Fluch und schwang sich auf den Rücken des Tieres.
In diesem Augenblick fing sie Makamnayas Blick ein. Naduah stutzte. Hatte er eben zu Nocona hinübergenickt , so als woll t e er, dass sie zu ihm ging? Nein, ganz sicher täuschte sie sich. Der dicke Kri e ger wiegte seinen Kopf, hob einen Arm und vollführte eine sehr viel deutlichere Geste. Ihr rutschte das Herz in den Magen. Er wollte wir k lich … nein, unmöglich. Was sollte sie sagen? Was tun?
Nocona lenkte seinen Hengst hinunter zum Fluss, zügelte ihn am Ufer und lehnte sich mit locker h in abhängenden Armen zurück. Auf ein u n sichtbares Zeichen trottete das Pferd vier Schritte rückwärts, blieb st e hen, drehte sich gemächlich um die eigene Achse und vollführte vier Schritte nach vorn, bis seine Hufe das Wasser berührten. Es trabte ei n mal im Kreis, verfiel in lockeren Galopp und beschrieb eine Acht um zwei Eichen herum. Schließlich ging es mit den Vorderläufen in die Knie, sackte zur Seite und legte sich auf den Boden. Nocona beugte sich über das Tier. Mit den Fingern teilte er die Mähne des Hengstes, versu n ken in einer Zwiesprache, die Ahnungslose für Magie hielten. Nicht umsonst lautete ein Name, den man ihrem Stamm gegeben hatte, die „Herren der Pferde“.
In einer wunderbar fließenden Bewegung richteten sich Mensch und Tier wieder auf. Mondlicht versilberte den Körper des Zentauren. Fell und
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