Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
weitergegeben, wie ich sehe.“
„Und ich sehe, dass er mich gar nicht wahrnimmt.“ Naduah schüttete das Fleisch so ruppig in den Kessel, das heißes Wasser auf ihren Arm spritzte. Oh, solch ein Elend! Alles war anders gekommen als sie es sich ausgemalt hatte. Sie trug eines ihrer besten Kleider aus weißem Rehleder und hatte ihr Haar zu einem glänzenden Zopf geflochten. Sie hatte ihren schönsten Schmuck aus Hirschgrannen, Federn und Perlen angelegt, doch nicht einen Blick war es ihm wert . Dieser arrogante Königsvogel.
„Er nimmt dich sehr wohl wahr, Tochter“, sagte Huka. „Du merkst es nur nicht. Das macht einen guten Jäger aus. Seine Beute sieht ihn erst, wenn es bereits zu spät ist. D u spürst ihn erst, wenn er sich bereits lau t los und ungesehen so nah an dich herangepirscht hat, dass du seinen Atem in deinem Nacken spürst.“
Gänsehaut überzog ihren Körper, die Sehnsucht in ihrem Inneren wurde heftiger, obwohl sie sich gerade noch geschworen hatte, Nocona aus ihren Träumen zu streichen. Ihre Unbeherrschtheit machte sie w ü tend. Kein Mann würde ihren Geist vernebeln, kein Mann ihr den Schlaf rauben. Mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen strich Huka über ihren ergrauten Zopf.
„Geduld, meine Tochter. Geduld.“
Im Schein der Herbstsonne widmeten sie sich wieder dem Eintopf. Hin und wieder streute ihre Mutter getrockneten Salbei in das Feuer, damit wohlduftende Aromen sie umschmeichelten, und manchmal summte sie mit ihrer rauchigen Stimme Lieder vor sich hin.
Bis zum Abend kochten und buken sie gemeinsam. Als sich die Dämmerung über das Dorf legte, wurde erwartungsvolle Trägheit von Hektik abgelöst. Naduah und ihre Mutter stellten alles, was sie zub e reitet hatten, zu all den anderen Schlemmereien, die sich bereits unweit des großen Feuers zu einem wahren Berg angesammelt hatte.
Schließlich, als alle Pflichten getan waren, gesellte sich Huka zu Mahto. Sie tuschelten und kicherten miteinander wie ein frisch verliebtes Paar, rauften, liebkosten sich und fanden erst zu ihrer alten Würde zurück, als der Häuptling erschien. Abrupt strafften sich ihre Gestalten, noch immer geschüttelt von unterdrücktem Gekicher.
Naduah stand nicht der Sinn nach Gesellschaft. Abseits der schna t ternden Mädchen, unter denen sich ihre Freundinnen tummelten, nahm sie am Fuße eines Walnussbaums Platz. So war sie zwar zu weit vom Feuer entfernt, um seine Wärme zu spüren, doch ihr Umhang aus K a ninchenfell war dick genug, um die Kälte abzuhalten. Vor allem aber hatte sie von hier aus einen guten Blick auf Makamnaya, Icabu und Nocona.
Naduah kuschelte sich in das Fell und knabberte an einer Präriehuhnkeule. Süße Schwermut lag in der Abendluft. Männer spielten auf Knochenflöten, Mahtowin gab, umlagert von einer gebannt la u schenden Schar, ihre Erzählkunst zum Besten. Für Naduah waren ihre Worte nur ein unverständliches Murmeln, doch die Gesten der Medizi n frau waren so lebendig, dass sie ihre eigene Geschichte erzählten. Zufri e den mit ihrem abgeschiedenen Platz beobachtete Naduah den goldenen Wide r schein der Flammen auf den Gesichtern. Musik, Gelächter und das Dröhnen der Trommeln ließen ihren Zorn verrauchen. Dies war ihr Volk. Dies war ihr Zuhause.
Beseelt von neuem Mut wagte sie es endlich, zu den drei jungen Kri e gern hinüberzublicken . Trotz der Kühle des Abends trugen sie lediglich Lendenschurz, Beinlinge und leichte Moka s sins. Nocona zog das Blatt einer Pappel aus seinem Beutel, den er am Hüftriemen befestigt hatte, legte Tabak darauf und rollte es eine halbe Ewigkeit auf seinem Schenkel hin und her. Irgen d wann, als er mit der Form des Blattes zufrieden war, nahm er einen Zweig und ging hinüber zum Feuer. Naduah verfolgte jede seiner Bew e gungen. Jeden Schritt, in dem sich Kraft und Anmut paarten. Wenn noch ein Rest Zorn übrig geblieben war, so war er jetzt verraucht. Gewiss hatte er sie nicht absich t lich übersehen. Er musste in Gedanken weit fort gewesen sein. Als er mithilfe des brennenden Zwe i ges sein Pappelblatt anzündete, ein paar Mal fest daran saugte und g e nüsslich den Kopf in den Nacken legte, entfloh ihr ein Seufzer. Oh, sie war genauso dumm wie die gurrenden Täubchen, die den ganzen Tag nur kicherten und zwinkerten. Aber beim Großen Geist, er war so schön. Flammenschein schimmerte auf seinem Gesicht. Der heiße Wind des Feuers wehte zwei Haarsträhnen über seine Brust, während er still und versunken dastand. Ob er an sie
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