Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Bison schien aus der Reihe zu tanzen. Es war Noconas Beute. Die Sprünge des verkleideten Mannes wurden hektischer, während er verge b lich versuchte, seinen Jäger abzuschütteln. Wieder und wieder wurde er von ihm bedrängt. Nocona schnitt ihm mit seiner Lanze den Fluchtweg ab, stieß ihn zu Boden, ließ ihn sich aufrappeln und brachte ihn mit e i nem geschickten Schlag in die Kniekehlen erneut zu Fall. Dreimal, vie r mal, fünfmal. Naduah konnte nicht sagen, wo Schrecken endete und Faszination begann. So viel Wucht lag in Noconas Angriffen, so viel Präzision und schreckliche Kraft, dass sie ihn vor sich sah, wie er einen Feind nach dem anderen tötete. Gnadenlos, erbittert. Ein Fleisch gewo r dener Dämon, in dessen Gestalt sich Schrecken mit Anmut vermisc h te. Der Kampf der beiden überschritt die Grenze zwischen Spiel und Ernst. Unter der weißen Farbe war Noconas Gesicht verzerrt vor Wut.
Nach einem neuerlichen Ausweichmanöver brüllte der Bison vor Schmerz. Die Tänzer hielten inne und begafften den wild herumhüpfenden Krieger, der aus Leibeskräften Verwünschungen brül l te und sich den Hintern hielt. Naduah war nicht überrascht, als sie Icabu in dem U n glücklichen wiedererkannte. Er fluchte und zeterte, bis er einen marke r schütternden Kampfschrei ausstieß und sich auf seinen Gegner stürzte. Überrascht von dem ungestümen Angriff verlor dieser das Gleichg e wicht. Ineinander verkeilt gingen beide zu Boden. Nocona versuchte noch, sich mit einer Drehung zu befreien, doch er scheiterte kläglich. Geifernd vor Wut würgte Icabu seinen Freund. Einige Männer mischten sich ein, doch ehe ihnen ein Einschreiten gelang, entfesselte Nocona mit einem Aufbäumen all seine Kraft, warf Icabu zurück und stürzte sich auf ihn. Festgenagelt von zwei unerbittlichen Händen, die seine Schultern gegen die Erde pressten, brüllte Icabu seinen Zorn hi n aus.
„Hör auf!“ , schrie Nocona, als seinem Freund endlich der Atem au s ging. „Was soll das? Bist du tollwütig geworden? Hast du das Dum m heitswasser der Weißen getrunken?“
„Lausiges Stinktier!“ Icabu schaffte es, seinem Freund einen Schlag in die Rippen zu verpassen, was dieser mit einem Kinnhaken beantwortete.
„Hör auf damit!“
Icabu spuckte aus. „Sollen die Krähen dir die Augen auskratzen, wä h rend du am Galgen baumelst.“
„Schluss damit!“ Hunkapi, der Häuptling der Quohadis, kam armw e delnd herbeigewankt . „Nocona hat r echt. Du führst dich auf wie ein tollwütiges Tier.“
„Er hat mir die Lanze ins Fleisch gerammt!“ , brüllte Icabu. „Er hat mich aufgespießt!“
„Wo genau?“ Hunkapi schob Nocona beiseite und half dem unterl e genen Krieger auf die Beine. Ehe Icabu es verhindern konnte, hob der Häuptling vor allen Augen seinen Lendenschurz an. Eine kleine, aber heftig blutende Wunde prangte auf der Hinterbacke. Die Menge brach in schallendes Gelächter aus.
„Bei allen Flussgeistern!“ Hunkapi zog eine bedeutungsvolle Grimasse. „Wie ich sehe, bist du nur knapp einer tödlichen Verwundung entga n gen. Schätze dich glücklich, morgen mit so einem vorzüglichen Jäger reiten zu dürfen. Vielleicht wird er dir mit seiner Treffsicherheit den Pelz retten.“
Icabu schäumte vor Wut. Er öffnete den Mund zu einer Entgegnung, schien es sich anders zu überlegen und verschwand wortlos in der Nacht. Nocona währenddessen, zurückgekehrt zu seiner würdevollen Ruhe, hob das Bisonfell seines Freundes vom Boden auf und verließ erhobenen Hauptes den Festplatz. Vermutlich, um seinem Freund zu folgen. Oder um allein zu sein.
In Naduah brannte der Wunsch, ihm hinterherzulaufen . Alles in ihr sehnte sich danach, unter vier Augen mit ihm zu r e den. Es gab so viele Fragen, die sie ihm stellen wollte. So viele Dinge, die zu sagen waren. Warum war er ihr niemals wieder nahe gekommen? Warum tat er, als existier t e ihr heiliges Blut s band nicht mehr?
Betrübt blickte sie in das Feuer und nahm den erneut einsetzenden Tanz nur entfernt wahr. Irgendwann übermannte sie der Wunsch, allein zu sein. Sie verließ den Festplatz, flüchtete sich in das Tipi ihrer Familie und kuschelte sich in die Felle, um Vergessen zu suchen. Kaum schloss sie die Augen, sah sie sein Gesicht vor sich. Sein im Feuer leuchtendes, wunderbares Gesicht, das so unnahbar war wie eine Vision.
Würde es jemals anders sein?
Mit diesem Gedanken glitt sie in einen unruhigen Schlaf, und als sie nach gefühlten Augenblicken wieder erwachte, lagen Huka und
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