Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Mahto schnarchend neben ihr. Erinnerungen durchdrangen die Betäubung des Schlafes. In der Öffnung des Rauchfangs glommen sieben Sterne. Ihr Anblick erinnerte an einen tiefblauen, mit Edelsteinen geschmückten Porzellanteller. In der Luft lag bereits der Geruch des Morgens, und der Gedanke, sich am Ufer des Flusses den Sonnenaufgang anzusehen, g e wann an Verführungskraft.
Vorsichtig schälte sie sich aus den Fellen, zog ihren Kaninchenfellu m hang über und schlich in die Kälte hinaus. Obwohl Mahtos Ohren scharf waren wie die eines Luchses, ließen sie ihn diesmal im Stich. Tief und fest schlief ihr Vater, berauscht vom vergorenen Beerensaft.
Auf leisen Sohlen folgte Naduah dem Pfad zum Wasser. Vielleicht war Nocona noch immer am Fluss, lag irgendwo schlafend unter einem Baum oder war bereits wach, um die Dämmerung zu begrüßen. Falls sie ihn sah, würde sie genügend Mut aufbringen, um zu ihm zu gehen? Vermutlich nicht.
Naduah bedachte sich mit einem Fluch. Sie hatten einander das Leben gerettet, also warum fürchtete sie sich davor, ihm nahe zu kommen? Was war sie für ein feiges, erbärmliches Ding.
Hauchzarte, hoch in den Sträuchern hängende Spinnennetze verkü n deten, dass das sonnige Wetter bleiben würde. Stand en Regen und Kälte bevor, bauten die Tiere ihre Netze nah am Boden und webten dickere Fäden. In diesen Tagen hatten sie filigrane Ketten gewebt, die der Mo r gen mit Kristallen aus Tau verzierte. Mutter Erde redete durch viele Zeichen. War Naduah anfangs taub für ihre Sprache gewesen, gehörte es inzwischen zu ihrem Alltag, tausend Geheimnisse aus ihr herauszulesen.
Als sie den Fluss erreichte, begannen die ersten Zaunkönige zu zwi t schern. Irgendein Frühaufsteher frönte seinem schiefen Gesang, der nach wenigen Strophen mit einem Keuchen endete. Vielleicht, weil seine Frau mithilfe ihrer Keule Ruhe eingefordert hatte.
Genießerisch tauchte Naduah ihre Zehen in das Wasser. Es war kalt, klärte ihren Geist und vertrieb den letzten Rest Müdigkeit. I n ihren U m hang g ekuschelt sah sie dem Nebel zu, der über das Wasser kroch. Au f merksam suchte sie nach verräterische n Zeichen, die auf Noconas Nähe hindeuten konnten, doch es gab nichts zu entdecken. Am anderen Ufer tauchte ein K o jote auf. Das Tier musterte sie argwöhnisch und begann, als es sich von ihrer Harmlosigkeit übe r zeugt hatte, mit dem Trinken.
Sie schloss die Augen und wippte vor und zurück . P lötzlich erklang hinter ihr ein leises Atmen. Ihr tadellos funktioniere n der Instinkt ließ sie mit der Schnelligkeit einer Klapperschlange herumfahren, doch kon n te er nicht verhindern, dass ihr rechter Fuß auf dem glitschigen Schlamm ausrutsc h te. Sie verlor das Gleichgewicht. Ehe sie mit rudernden Armen im Wasser landete, sah sie Nocona, in ein Biso n fell gehüllt, mit feuchtem Haar und diebischem Funkeln in den A u gen. Kälte, Überraschung und Scham prasselten auf sie ein, durchmischt von Wut. Ihr stockte der Atem.
„Es tut mir leid.“
Seine Stimme klang unwirklich in der Stille des Morgens. Stocksteif lag Naduah im Wasser. Wäre der Große Geist gnädig gewesen, hätte er diesem Mann ein weniger schönes Lächeln geschenkt. Doch da er es nicht war, brachte Noconas Strahlen ihr Herz aus dem Gleichtakt.
„Ich hätte mich nicht anschleichen dürfen. Komm, ich helfe dir.“
Er streckte ihr seine Hand entgegen. Naduah ergriff sie, spürte ihren warmen, festen Druck und stand wieder aufrecht. Tropfend, sprachlos, zähneklappernd. Das vollgesogene Fell hing felsenschwer auf ihren Schultern. Es war das erste Mal seit jenem Tag vor vielen Jahren, da sie Nocona nahe war.
„Ich wollte dich nicht erschrecken.“
Er nahm ihr den vollgesogenen Pelzumhang ab, legte ihn über einen Ast und zog das Bisonfell von seinen Schultern. Behutsam legte er es ihr um. Sie sog scharf die Luft ein. Seine Finger hatten ihren Hals gestreift. Sein Körper war ihr so nah gewesen, dass sie die Wärme gespürt hatte.
„Kannst du mir verzeihen, Naduah? Ich wollte nur herausfinden, ob ich gut bin.“
Sie spürte seinen Blick auf ihrem Gesicht, auf ihren Händen und auf den nackten Waden. Seine Aufmerksamkeit galt ihr allein. Wie lange hatte sie sich danach verzehrt, nach so vielen Jahren des G e trenntseins und der Zweifel. Ihr Blick klebte auf seiner nackten Brust. Sie sah die aufgewölbte Narbe der Schusswunde, und das Verlangen, sie zu berü h ren, ließ ihre Fingerspitzen prickeln.
„Gut worin?“
„Im
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