Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Lachen eines Mädchens. Mit betäubender Wucht riss ihn der Sog in die Tiefe und verwirbelte die Flüsse von Zeit und Raum.
Nocona, 1841
W
ährend er die Schnüre seines Wamses zuband, saßen Peta und Zuzueca stumm am Feuer und beobachteten ihn. Ihre Traurigkeit war spürbar, doch er ließ sie nicht an sich heran. Der Bequemlichkeit wegen trug er nur seine schlichte Jagdkleidung. Hohe, mit Stache l schweinborsten verzierte Mokassins über einfachen Beinlingen, einen Schurz und das Wams, dessen Fra n sen seine nackten Arme kitzelten. Am Hüftband hingen all die Dinge, die immer griffbereit sein mussten. Sein Medizinbeutel, dessen wichtigste Zutat noch fehlte, ein Behälter mit Heilkräutern und einer mit Zündste i nen, Sehnen, Nadel und Ahlen.
Er trug seinen Bogen, den Wolfspelzköcher, ein Messer und eine kle i ne Steinklinge, die unauffällig an seine Wade gebunden war. Die flachen, mit Gras gefüllten Ledersäcke, die auf die Rücken ihrer Pferde gebunden waren, waren mit weiteren Waffen, Kleidung, Proviant, ein paar Fellen und d em N ötigste n an Werkzeug behangen. Nocona war sich sicher, nichts vergessen zu haben. Draußen hörte er Kehala mit einer Freundin schwatzen. Dank ihr wusste inzwischen jeder im Dorf, wohin sie gehen würden.
Peta erhob sich und gab ihm die Schachtel, in der seine Adlerfedern lagen. Zärtlich strich sie ihm über das Haar. Damit es nicht vom Wind verfilzt wurde, hatte er Biberöl hineingerieben , es zu zwei Zöpfen g e flochten und beide mit Pelz umwickelt.
„Macht euch keine Sorgen.“ Nocona legte seine Hand auf Petas Wa n ge. „Wir kehren gesund zurück. Ich weiß es. Die Geister sprachen in vielen Träumen zu mir.“
„Meinem Bruder ist niemand gewachsen.“ Wie ein Wiesel huschte se i ne Schwester ins Zelt und baute sich vor ihm auf. „Wenn uns jemand Böses will, stopft er ihm seinen eigenen Skalp in den Mund. Bitte, lass uns endlich aufbrechen. Ich halte deine Trödelei nicht mehr aus. Komm endlich, Bruder!“ Kehala warf sich ihre Robe aus cremefarbenen Kani n chenfellen um und rannte nach draußen. „Es ist ein wunderschöner Morgen.“
„Ihr hättet es ihr nicht erlauben sollen“, knurrte Nocona. „Warum habt ihr kein Machtwort gesprochen?“
Zuzueca zog eine Grimasse. „Wenn deine Schwester schmollt, sind wir wie Schnee in der Sonne. Selbst das kälteste Kriegerherz kann ihr nicht widerstehen.“
„Ich sollte sie an einen Zeltpfosten binden. Da kann sie zappeln, bis sie schwarz wird.“
Peta lächelte freudlos. „Nein, mein Sohn. Nicht einmal ein Dämon könnte deine Schwester zu etwas zwingen, was sie nicht will. Ebenso kann man versuchen, einen Präriebrand zu zähmen.“
Nocona winkte ab, schlüpfte aus dem Zelt und streckte sich, um seine Muskeln zu lockern. Ihn empfing ein prachtvoller Morgen. Die herbs t lich gefärbte Prärie leuchtete im ersten Sonnenschein, überzogen von Nebelschleiern und glitzerndem Tau. Weder Icabu noch Makamnaya waren in der Nähe. Nichts anderes hatte er erwartet. Der eine war nac h tragend ohnegleichen, der andere zu träge, um so früh aufzustehen.
„Seid bis zur nächsten Bisonjagd zurück.“ Zuzuecas Mauer aus une r schütterlicher Würde bröckelte. „Ich brauche euch beide. Nur wenn ihr bei uns seid, bin ich ein glücklicher Mann.“
Nocona sah davon ab, seine Eltern zu umarmen. Kehala tat es ihm gleich. Zu viele Augen ruhten auf ihnen, zu verletzlich war die Beher r schung, die Zuzueca und Peta aufrecht hielten.
„Möge der Große Geist mit euch sein“, sagte ihr Vater. „Mögen eure Schutzgeister stets in eurer Nähe sein.“
Er antwortete mit einem Lächeln und schwang sich auf sein Pferd. E i nen letzten Blick warf er auf das Tipi seiner Familie, prägte sich jede Einzelheit ein und legte sie in seinem Geist ab, sodass er sich jeden Abend und jeden Morgen mit dieser Erinnerung trösten konnte, wenn er der Heimat fern war. Kehala hingegen, trunken vor Abenteue r lust, stieß ihrer Fuchsstute die Hacken in die Flanken und stürmte mit wilden Freudenschreien voraus.
„Vielleicht schaffst du es während eurer Reise, sie zu zähmen“, hoffte Peta. „Ich gebe dir die Erlaubnis, sie im Notfall zu züchtigen.“
Nocona antwortete lediglich mit einem Seufzen. Wenn etwas au s sichtslos war, dann der Versuch, Kehala in ein Mädchen zu verwandeln. Unter ihm tänzelte Cetan und brannte darauf, über die Prärie zu jagen, die Kraft seiner Muskeln explodieren zu lassen und das zu tun, wofür e r geschaffen
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