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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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können Sie so neben ihm sitzen? Er hat … er hat …«
    »Er hat genau das getan, was jeder von uns tun würde, um dem Bösen Einhalt zu gebieten«, sagte Nevera. »Nichts ist so wichtig, wie dem Treuen Bund das Handwerk zu legen, und jeder Sieg über ihn, egal wie klein, ist seinen Preis wert. Wenn die Erinnerung an deine Mutter dich davon abgehalten hätte, dich uns anzuschließen, so hätte Jonathan recht daran getan, dir die Erinnerungen zu nehmen. Wir Dichter können uns im Kampf gegen die Bundmotten nicht leisten, Rücksicht auf uns selbst zu nehmen - schließlich stehen nicht nur persönliche Schicksale auf dem Spiel, sondern die Zukunft der gesamten Menschheit.«
    Apolonias Blick glitt zu Morbus, der bei Neveras Worten sein Lächeln verloren hatte und dabei ernst, fast traurig geworden zu sein schien. Apolonia vermochte nicht zu sagen, was sich hinter seinen Augen abspielte. Sie wirkten nicht mehr halb so wahnsinnig wie damals in der Lagerhalle … Wie konnten sich Augen bloß so verändern?
    »Nein. Dieser Mann ist ein Krimineller. Ich weiß es.« Dabei wusste sie das überhaupt nicht mehr und ihr Zweifel war kaum zu überhören.
    »Apolonia… Wenn ich ein so großer Bösewicht wäre, wie du mir vorwirfst, meinst du dann nicht, dass ich vorgestern Nacht ganz andere Dinge getan hätte? Stattdessen habe ich doch versucht, dir zu erklären, was die Dichter tun - meinst du, das erzähle ich jedem? Ich wollte dich überzeugen, eine von uns zu werden. Daran musst du dich doch erinnern?«
    Nevera nickte. »Wir sind bereit, alles zu tun, alles, damit du eine von uns wirst. Auch ich hoffe, dass dies mit deinem vollen Einverständnis geschehen wird. Genau wie Jonathan.« Sie tauschten einen Blick. Nevera hatte eine neue Zigarette
aus ihrem Etui gezogen, und Morbus lehnte sich zu ihr vor, um ihr Feuer zu geben. Etwas Zärtliches lag in der Geste.
    Apolonia stand noch immer steif wie ein Brett da und betrachtete die beiden ungläubig. »Wieso wollt ihr unbedingt mich?«
    »Das alles hat mit einer Prophezeiung zu tun, die dem TBK schon lange bekannt ist und von der wir durch einen glücklichen Zufall - oder sollte ich sagen, besondere Aufmerksamkeit - ebenfalls erfahren haben. Die Prophezeiung besagt, dass ein Mädchen mit herausragenden Mottengaben kommen wird, um den Treuen Bund und seine schrecklichen Pläne zu vernichten. Jenes Mädchen würde sich, so heißt es, an der Seite eines unbedeutenden Kleinganoven offenbaren, eines gewissen … Jorel war sein Name, glaube ich«, sagte Morbus.
    Nevera schnaubte leise. »Dem TBK muss es gerade recht gekommen sein, dass es dieser Jorel war. Schließlich ist er einer von ihnen gewesen, bis wir ihn unschädlich gemacht haben.« Nevera zog beiläufig an ihrer Zigarette.
    Tigwid - Tigwid ein Terrorist? Apolonia spürte, wie ein lähmendes Kribbeln durch ihre Arme und Beine ging. Deshalb hatte er seine Erinnerungen verloren …
    »Jedenfalls«, fuhr Morbus fort, als habe er Apolonias Erblassen nicht bemerkt, »hat sich der TBK eine kleine List ausgedacht. Da der Junge sich nicht mehr erinnern konnte, je zu ihnen gehört zu haben, und außerdem all seine Gaben verloren hat, mussten sie ihn - und somit dich - anders anlocken. Zufällig wussten sie von der penetranten Neugier dieses Bengels und haben sich ein Buch der Antworten ausgedacht, so lächerlich es auch klingen mag, und der kleine Dieb ist tatsächlich darauf hereingefallen. Er hätte dich geradewegs zum TBK geführt, hätten wir uns nicht schon früher in Eck Jargo postiert. Wir haben in diesem Erdloch tage- und nächtelang darauf gewartet, dich zu finden. Denn wärst du Collonta in
die Hände gefallen…« Morbus machte eine vielsagende Pause.
    »Wer ist Collonta?«, fragte Apolonia.
    »Nun«, sagte Morbus gedehnt, »Erasmus Collonta ist der Anführer des TBK. Er ist nicht nur der Machtgierigste und Skrupelloseste von allen, sondern auch der Gefährlichste. Mit seiner Gabe kann er ganze Scharen von Geistern erwecken und nach seinem Willen lenken, heißt es. Hätte der Straßenjunge dich tatsächlich zu ihm geführt, wärst du schon längst tot.«
    Apolonia erschauderte unwillkürlich. Sollte Morbus wirklich ihr Retter sein? Sie betrachtete sein Gesicht, die geheimnisvollen Augen, die Falten auf seiner Stirn. Furcht und eine ungewollte Bewunderung dafür, dass er all seinen Mitmenschen überlegen zu sein schien, durchwogten Apolonia, obwohl sie es zu unterdrücken versuchte. Sein Blick erwiderte den ihren. Sie wollte

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