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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Augen. Apolonia fühlte, wie es ihr die Kehle zuschnürte, doch sie regte sich nicht und sagte nichts.
    »Apolonia«, murmelte Vampa - allein um ihren Namen noch einmal auszusprechen, so schien es. Dann schloss sich leise die Tür und Vampa war mit den Dichtern verschwunden.
    Eine Hand legte sich auf Apolonias Schulter. Sie zuckte zusammen. »Es ist besser so«, sagte Nevera und atmete erleichtert aus.
     
    Irgendwo vernahm er leise flüsternde Stimmen. Stoff raschelte und Füße scharrten über den Boden.
    »Ist der Verband sauber?«
    »Loo hat ihn frisch besorgt.«
    »Die Kugel hier rein …«
    Ein zartes Klirren von Metall.
    »Saß ganz schön tief, was?«
    »Gerade noch mit dem Skalpell erreichbar.«
    Tigwid kam zu sich. Allmählich kehrte sein Bewusstsein zurück, doch er erinnerte sich an nichts. Was war geschehen? Wieso hatte er das Gefühl, mit der Schulter in einem Schraubstock
zu stecken? Er versuchte, die schweren Augenlider zu öffnen. Immer wieder überkam ihn die Panik, das Gleichgewicht zu verlieren und nach links oder rechts in irgendeine Tiefe zu stürzen - dann erst wurde ihm bewusst, dass er mit dem Rücken auf festem Boden lag.
    Zwei verschwommene Gesichter erschienen über ihm. Das eine war breiter als das andere… Das Gesicht eines Mannes, durchschoss Tigwid ein Gedanke, obwohl er nur Schemen erkannte. Vielleicht war es auch eine ziemlich männliche Frau mit buschigen Augenbrauen. Daneben beugte sich das andere Gesicht über ihn, umrahmt von kurzem weißgrauem Haar.
    Eine Hand berührte seine Stirn. Kühle Finger strichen ihm die Schläfe entlang. »Jorel …« Die Stimme war erschreckend nah und eindringlich.
    »Er ist noch im Fieberwahn.« Eindeutig eine männliche, alte Stimme.
    Das schmalere Gesicht beugte sich näher zu ihm herab. »Hörst du mich?« Es war ein Flüstern, doch es erreichte ihn so intensiv, dass Tigwid das Gefühl hatte, sein Kopf müsse zerspringen. »Keine Sorge. Du wirst nicht sterben.«
    »Sterben?«, lallte er erschrocken. »Wieso?« Er spannte die Nackenmuskeln und hob den Kopf. Wie zur Antwort ging ihm ein betäubender Schmerz durch das rechte Schulterblatt. Er stöhnte und sank zurück. Völlig unpassenderweise begleitete den Schmerz ein plätscherndes Lachen.
    »Sei beruhigt«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor. »Du bist in Sicherheit. Du bist beim Treuen Bund der Kräfte, Mottenbruder.«

Das Buch der Antworten

    S obald die Tür sich geschlossen hatte, griffen die Dichter ihn links und rechts fester an den Armen, als sei er ein wildes Tier, das gerade aus seinem Käfig geführt wurde. Dabei wehrte sich Vampa jetzt genauso wenig wie vorher. Er taumelte, von den Dichtern umringt, den Flur entlang und eine schmale Treppe hinab. Die Dichter drängten sich eng hinter und vor ihm und hatten es immer eiliger; immer schneller, immer ungeduldiger drückten sie Vampa vorwärts.
    Die Treppe endete in einem hellen Pavillon und kaltes Tageslicht fiel über sie. Vampas Augen irrten zu den Fenstern, und er blickte in den weißen Winterhimmel, bis die Dichter ihn in einen schattigen Flur geführt hatten und das Licht verschwand.
    Vampa rang zitternd nach Luft. Ein Dichter trat ihm versehentlich vor die Füße und Vampa stolperte. Mehrere Hände packten ihn an seinem Mantel, seinen Armen und seinem Nacken. Er wurde wieder auf die Füße gezerrt und umso hastiger angetrieben. Er hörte die Drohungen kaum, fühlte nicht die eisernen Griffe und die Finger, die sich in seine Haut gruben. Das alles passierte irgendwo hinter einem dunstigen Schleier.
    Apolonia… ihr Gesicht hatte so verwirrt ausgesehen, so
zweifelnd und vorwurfsvoll. Tränen hatten in ihren Augen geglänzt. Ihre Augen! Heiße Übelkeit spülte durch ihn hindurch. Es war, als hätte er von ihr gelesen, in einem Blutbuch. So sehr berührte ihr Gesicht ihn.
    Wieder ging es hinab, diesmal eine breite Spiraltreppe mit einer Glaskuppel weit über sich.
    Apolonia… War sie tatsächlich auf der Seite der Dichter? Kämpften die Männer, die ihn in die Tiefen des Schlosses führten, auf der Seite des Guten? Und er auf der Seite des Bösen …
    Er war ein Terrorist gewesen. Er war kein Opfer der Motten. Er war der Täter , bestraft durch die Hände derer, die Apolonia gerettet hatten. Vampa versuchte, sich klar zu werden, was das bedeutete. Er hatte schreckliche Gaben besessen und sie missbraucht.
    »Ich war böse«, flüsterte Vampa, und ein furchtbares Lächeln grub sich in sein Gesicht, denn über die schrecklichsten

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