Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
Mann kam Apolonia wie ein Ganove vor, mit seinem bleichen Gesicht und dem dünnen Schnauzer. Er nickte ihr anerkennend zu.
»Michaelis Manthan«, fuhr Morbus fort, wobei er auf jenen jungen Mann mit dem unruhigen, schmalen Gesicht wies, der in der Lagerhalle ohnmächtig geworden war. »Unser guter Manthan ist erst seit neun Monaten bei uns und muss seine Fähigkeiten noch unter Beweis stellen.« Obwohl Morbus freundlich klang, ging ein Zucken um die Mundwinkel des jungen Dichters, und er schluckte nervös. Hinter ihm standen noch drei Dichter. Einer von ihnen war Professor Rufus Ferol. Sein Gesicht schien wie versteinert, er beobachtete Apolonia aus kleinen, wässrigen Schweinsaugen. Seine Stirn glänzte.
»Professor Ferol kennst du ja schon«, bemerkte Morbus. Ferol vollführte eine krampfhafte Verbeugung und schloss die Hände zu roten Fäusten. »Ich fühle mich geehrt, Fräulein Apolonia.«
»Constantin van Ulir«, stellte Morbus den nächsten Dichter vor. Er war ein kompakter, älterer Herr mit schütterem weißem Haar und einer Narbe, die sich vom Hals bis zur rechten Wange zog. Mit einem ehrgeizigen Leuchten in den Augen nickte er Apolonia zu.
»Und schließlich Augustus Noor, mein alter Freund. In Kürze wird sein zweiter Roman erscheinen, der erste hat bereits im vergangenen Frühling für Furore gesorgt - was wir natürlich erwartet haben. Diese Veröffentlichungen dienen uns übrigens nur zur Tarnung. Aber ich muss gestehen, dass uns die Honorare bei der Bekämpfung des Bösen nicht ganz ungelegen kommen.«
Der alte Herr Noor sah nicht unbedingt wie ein Dichter und Künstler und schon gar nicht wie eine begabte Motte aus. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, der über seinem mächtigen Bauch spannte, und hatte kurzes, pomadisiertes Haar, das eher zu einem Bankdirektor gepasst hätte. Seine fleischigen Wangen und sein Doppelkinn hingen ihm über den Hals wie zerlaufenes Kerzenwachs. Weder er noch sonst ein
Dichter verkörperte und verschleierte die wahre Natur ihres Bundes so perfekt wie Morbus; keiner wirkte annähernd so elegant und erschreckend, vertrauenswürdig und undurchschaubar wie ihr Meister, und Apolonia bezweifelte, dass es überhaupt einen Menschen gab, der Morbus ähnelte.
Jetzt da die Dichter vorgestellt waren, klatschte Morbus einmal in die Hände und wandte sich an Apolonia und Vampa. »So, da unsere Runde komplett ist, müssen wir uns von dem Jungen verabschieden. Meine verehrten Herren, darf ich Ihnen die Aufgabe überlassen, sich seiner anzunehmen? Manthan, dies ist eine gute Gelegenheit für Sie, um Ihre Fähigkeiten zu erproben.«
»Was meinen Sie?«, fragte Apolonia alarmiert.
»Nun«, erklärte Morbus mit vor Bedauern gerunzelter Stirn, »der Junge hat unser Gespräch mitangehört und außerdem erfahren, dass er einst ein Mitglied des TBK war. Zudem weiß er, dass Caer Therin unser bescheidenes Versteck ist. Das alles sind Dinge, an die er sich später, wenn er zu Collonta läuft, erinnern wird … besser, er erinnert sich nicht.«
Der stämmige van Ulir und Kastor fassten Vampa an den Armen. Er wehrte sich nicht.
»Ist das wahr?«, flüsterte sie ihm zu.
»Verschwende deine Zeit nicht mit ihm«, mahnte Nevera. »Er war ein boshafter, tückischer Verbrecher, auch wenn er sich nicht daran erinnern kann - und er wird zu seinem einstigen Meister zurückkehren, falls wir den Namen Collonta nicht ein zweites Mal aus seinem Gedächtnis schreiben!«
Vampa schien das nicht zu hören. Fast abwesend starrte er Apolonia an, sein Blick saugte ihr Gesicht in sich auf, als wolle er es sich besonders gut einprägen.
»Sag was«, befahl Apolonia, aber ihre Stimme zitterte. Was dachte sie sich denn - dass Vampa ihr versichern könnte, es stimme nicht? Dass er widersprechen und rufen würde, es sei
nicht wahr - er sei nie ein Terrorist gewesen, die Dichter logen, Apolonia solle ihrer Freundschaft mehr vertrauen als Morbus’ Worten? Nein, Vampa sagte nichts. Er wusste ja selbst nichts über seine Vergangenheit. Und über Freundschaft und Glauben und Vertrauen erst recht nicht.
»Ich schlage vor, dass die Sache in unseren Laborräumen erledigt wird«, warf Morbus ein, der mit verschränkten Armen am Fenster stand und allen anderen den Rücken gekehrt hatte, als könne er die Szene nicht mitansehen.
»Komm, Junge«, sagte Ferol und winkte Vampa. Kastor und van Ulir zogen ihn zur Tür. Als die Dichter ihn umdrehten, wandte er den Kopf zu ihr zurück. Tränen glänzten in seinen leeren
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