Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
noch zwei Trupps. Dann kommen Sie wieder her.«
Mebb blähte die Nasenflügel. »Wenn Sie meinen, Herr Inspektor …«
Sie setzten ihren Weg fort. Vampa ging ihnen voran. Nur
die verzweifelten Blicke, die er Apolonia über die Schulter zuwarf, verrieten, dass er sich seines Gefolges noch bewusst war.
Es ging endlos scheinende Steintreppen hinab. Die Polizisten staunten nicht schlecht über die Gewölbe und Hallen - direkt unter ihren Füßen hatte all die Zeit über eine Welt existiert, von der sie nicht die leiseste Ahnung gehabt hatten. Ein wahres Labyrinth aus Gängen erstreckte sich vor ihnen, manche niedrig und schmal wie lang gezogene Särge, andere meterhoch wie die Flure eines versunkenen Palasts. Vampa führte sie zielsicher weiter. Bei der Kreuzung mehrerer Wege begegneten sie das erste Mal Menschen.
Eine Bande von Räubern war gerade dabei, die Beute aufzuteilen. Der Anblick der riesigen Polizeieinheit traf sie wie ein Schlag; nur einer versuchte zu fliehen und wurde angeschossen, die anderen ergaben sich freiwillig.
Bald wurden die Begegnungen zwischen Verbrechern und Polizisten häufiger und sie fielen blutiger aus. Die Nachricht, dass der Untergrund entdeckt worden war, verbreitete sich durch die Kanalschächte und Katakomben wie Wasser, das sich unbemerkt seinen Weg bahnt. Als Mebb und die neuen Truppen sie einholten, waren alle erleichtert, dass sie rechtzeitig Unterstützung bekommen hatten. Inzwischen hatten sie mehrere Gefangene gemacht. Als ein paar Polizisten flüchtenden Banditen nachrennen wollten, rief Bassar sie energisch zurück. »Wir sind wegen des TBK hier. Die Zerstörung des TBK ist unser Hauptanliegen. Bleibt alle zusammen!«
Morbus nickte Apolonia heimlich zu. Sie starrte den Inspektor an, doch nichts an ihm verriet, dass er manipuliert worden war. Sie schluckte und konnte Morbus’ vertrauenswürdiges Lächeln nicht erwidern.
Bald erreichten sie eine Weggabelung: Vier Stollen lagen vor ihnen, erhellt von Lampen, die immer wieder an- und
ausflackerten. Vampa blieb stehen, die Schultern gesenkt, und drehte sich zu Apolonia um.
»Hier lebt Tigwid mit seinen Freunden.«
Morbus trat vor. »Inspektor, ich schlage vor, dass Sie Ihre Männer aufteilen und in jeden dieser Gänge schicken. Die Terroristen sollen nicht getötet werden. Ich schlage vor, dass wir sie auch nicht zur Wache bringen, sondern nach Caer Therin, zu meinem Anwesen. Dort sind die Sicherheitsvorkehrungen genau dem TBK angepasst.«
Ein widerwilliges Zucken glitt über Bassars Gesicht. Dann befahl er seinen Kommissaren, was Morbus vorgeschlagen hatte. Apolonia, Nevera und die Dichter blieben bei Vampa stehen, als die Polizisten in die vier Stollen liefen.
»Heute Nacht … heute Nacht werden wir ihnen alle Gaben nehmen und den Treuen Bund für immer vernichten.« Nevera trat neben Apolonia und griff ihr mit zitternden Fingern in die Schulter. »Mach dich darauf gefasst, die ganze Nacht hindurch Blutbücher zu schreiben. Und morgen, wenn der Tag anbricht, sind wir die mächtigsten Menschen der Welt.«
Vampa beäugte Nevera aus den Augenwinkeln; dann ergriff er plötzlich Apolonia an den Händen und rief: »Apolonia, die -«
Morbus holte aus und schlug ihm dreimal mit der Pistole gegen den Kopf, bis er zusammensackte und reglos liegen blieb. Apolonia schnappte nach Luft.
»Sie bleiben doch immer gefährlich«, sagte Nevera verächtlich und legte einen Arm um Apolonia.
Endlich konnte sie ihren Blick von Vampa losreißen. Schweigend starrte sie in die Stollen. Lichter und laute Stimmen drangen aus der Ferne zu ihnen. Dann fiel der erste Schuss. Sie zuckte vor Schreck zusammen.
»Ich muss es sehen«, sagte sie und deutete überflüssigerweise
in die Gänge. »Ich will den Kampf sehen und mit meinen Gaben eingreifen, wenn nötig.«
»Lieber nicht, Apolonia…«, mahnte Morbus. Nevera sah sie wortlos an.
»Ich bin gleich zurück.« Apolonia drehte sich um und ging in einen der Gänge. Die Lampe knisterte und flimmerte. Für Sekundenbruchteile war alles stockfinster. Als sich Apolonia noch einmal umdrehte, war sie bereits außer Sichtweite der Dichter. Irgendwo ganz nah fielen Schüsse. Schweiß trat ihr auf die Stirn. Sie fühlte sich, als würde sie auf Watte laufen. Was suchte sie überhaupt? Die Antwort lag irgendwo tief in ihr vergraben und vielleicht wollte sie sie gar nicht hören.
Der Gang mündete in eine kleine Steinhalle. Nur das ferne Licht der Gänge, die von hier abzweigten, und die Lampen der
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