Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
und mit etwas Glück würde uns der Computer vielleicht einen der wenigen Straftäter, deren genetische Fingerabdrücke tatsächlich dort erfasst sind, als Treffer ausspucken. Vielleicht aber auch nicht. Erschwerend kam hinzu, dass unsere Jane Doe eine Prostituierte war – sie würde also eine ganze Menge verschiedener DNA-Spuren an ihrem Körper haben.
„Sagen Sie mir bitte, dass Sie wenigstens den genauen Todeszeitpunkt feststellen konnten“, flehte ich. Er führte mich aus dem Sektionsraum, und ich war endlich den stechenden Gestank los.
„Detective, das ist nicht ganz genau zu sagen. Aber vielleicht hilft es Ihnen ja weiter, wenn ich Ihnen sage, dass es schon aufgehört hatte zu regnen, als das Opfer ermordet wurde. Ihr Körper war nämlich trocken und die Blutspuren nicht durch den Regen verwischt.“
Endlich mal etwas Handfestes. Die ungefähre Todeszeit konnte ich jetzt mit einem Telefonanruf feststellen und in die Akte eintragen, um mir langsam, aber sicher ein genaueres Bild von den letzten Stunden unserer Jane Doe zu machen. Hatte sie sich vielleicht bei dem Regen nur irgendwo unterstellen wollen und war dann an einen mies gelaunten Gewalttäter geraten? Möglicherweise war sie aber auch einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Denkbar wäre auch ein Sadist, der sie ausgesucht, verfolgt und dann ermordet hatte.
„Ich muss heute noch drei weitere Leichen aufmachen, Detective“, fuhr Kronen fort. Er hatte seinen Papieroverall samt der Schuhe im Sektionsraum abgelegt und trug jetzt wieder die für ihn typische Kakihose, ein Hemd und einen schief sitzenden Schlips. Auf dem Schlips war ein Ketchupfleck. Zumindest hoffte ich, dass es nur Ketchup war. „Rufen Sie mich an, wenn Sie noch weitere Fragen haben, Wilder.“
Die Tür gab ein Rascheln von sich, als er in den öffentlichen Bereich des Leichenschauhauses zurückging, wo die Hinterbliebenen die Körper der Verstorbenen identifizierten und sie für das Begräbnis abholten. Ich schaute noch einmal auf Jane Doe und drückte dabei meine Stirn gegen die Glasscheibe. Der Geruch meines Mageninhalts, den ich wegen ihr erbrochen hatte, lag immer noch in der Luft.
Ob sie wohl gewürgt hat, als die Drogen sich ihres Körpers bemächtigt hatten, oder war es eher wie ein warmes Bad gewesen? Junkies beschreiben normalerweise das zweite Phänomen, wohingegen erfolglose Selbstmörder den verzweifelten Versuch des Körpers, die todbringende Substanz vor Ablauf der Zeit auszustoßen, als den schrecklichsten Schmerz schildern, den sie je erfahren haben.
Ich holte tief Luft und atmete aus. Warum hat sie so seltsam gerochen? Und warum hatte der Täter sie unter Drogen gesetzt und derartig verstümmelt?
Warum, war die Frage, und ich hatte keine Antwort. Ich tappte im Dunkeln.
„Aber ich finde es heraus“, versprach ich meiner Jane Doe. „Bestimmt.“ Ein leeres Versprechen gegenüber einer toten Frau. Eigentlich nichts, womit ich nicht klarkommen konnte.
Als ich am 24. ankam, war der Schichtwechsel gerade voll im Gang. Uniformierte Cops und die Detectives der zweiten Tagesschicht verließen nach und nach das Gebäude. Manche allein, manche zu zweit. Rick unterhielt sich gerade mit Shelley, der tagsüber den Tresen managte. In der Empfangshalle hielten sich immer noch ein paar Zivilisten auf – bei den meisten von ihnen tippte ich wegen der tristen Schlipse und der teuren Anzüge auf Anwälte. Als ich durch den Metalldetektor gelangt war, ging ich zu meinem Schreibtisch.
Der Aufenthaltsraum war jetzt fast leer. Nur ein Detective der zweiten Schicht kauerte mit bemitleidenswertem Gesichtsausdruck an seinem Schreibtisch und hackte unentwegt in die Computertastatur.
Keine Spur von Bryson. Keine dieser Unheil verkündenden rosafarbenen Abwesenheitsnotizen auf meinem Schreibtisch. Keine blinkenden E-Mails in meiner Inbox. Beruhigt atmete ich auf.
„Etwa schlechte Nachrichten erwartet?“, sagte plötzlich eine Stimme wie aus dem Nichts.
Vor Schreck zuckte ich zusammen. „Mist!“
Lieutenant McAllister quittierte meine Reaktion mit einem gelassenen Blick – die Seelenruhe in seinem knochigen Gesicht wurde weder durch den Anblick übel zugerichteter Leichen noch die Fragen der Dienstaufsichtsbehörde ins Wanken gebracht. „Schön zu sehen, dass Sie heute Nacht voll auf dem Posten zu sein scheinen, Detective. Können wir uns kurz unterhalten?“
„Mist“, entfleuchte es mir ein zweites Mal.
McAllister nickte zustimmend. „Als ich heute
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