Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
wieder vor sich hin. „Das mochte ich an ihr.“
Ich versuchte, mir vorzustellen, wie Stephen mit Marina im Schlepptau im Haus der Duncans aufkreuzt, um seinem Vater die Liebe seines Lebens vorzustellen. Unmöglich! Der gute Alistair würde eher Rattengift fressen, als sich mit jemandem abgeben zu müssen, der auch nur einen Hauch von Unterschicht ausstrahlte.
„Ich habe sie nicht getötet“, beteuerte er mir erneut.
Ich seufzte. „Stephen, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Die beiden sind trotzdem tot.“
„Na, vielleicht sollten Sie dann eher da draußen sein und …
äh … Ihren verdammten Job machen, anstatt hier reinzustürmen und mich zu belästigen“, schrie er mich an.
Seine ungehaltene Pöbelei konnte ich ihm unmöglich durchgehen lassen. Ich packte ihn erneut im Nacken, aber diesmal wehrte er sich. Er war stark, aber auch nicht viel stärker, als man das von einem ehemaligen Lacrosse-Spieler erwarten konnte. Mit einer raschen Bewegung riss ich den Kragen seines Overalls herunter und erhaschte so einen Blick auf das Zeichen an seinem Hals. Es waren tintenschwarze Tentakel, die sich von seiner Haut abzuheben schienen – eine Sigille, die durch Zauberwirkung pulsierte und auf unheimliche Weise zum Leben erweckt wurde.
Als ich die Sigille mit der Hand berührte, spürte ich einen Schlag und machte einen Satz zurück. Im nächsten Moment war das Vernehmungszimmer von eben jenem Geruch nach verbranntem Ozon durchsetzt, den ich schon wahrgenommen hatte, als mich der maskierte Mann angegriffen hatte.
Stephen schaute mich vorsichtig an und rieb seine Wange an der Stelle, wo ich sie gegen die Tischplatte gepresst hatte.
„Was ist Ihr Problem?“
Ich setzte mich und massierte meine Handfläche, die mit Stephens Hals in Berührung gekommen war. „Wie lange haben Sie dieses Tattoo schon?“
Er blinzelte mich mit einem einfältigen Gesichtsausdruck an. „Welches Tattoo?“
„Das an Ihrem Hals, Stephen. Die Sigille.“
„Detective Wilder“, sagte er und schob seinen Stuhl zurück. „Ich habe keine Tattoos. Sie sollten jetzt besser gehen und nur wieder kommen, wenn mein Anwalt dabei ist.“
Dem Ausdruck in seinem Gesicht nach zu urteilen, sagte er die Wahrheit.
„Sie sehen es wirklich nicht …“, murmelte ich. Die Sigille auf Stephens Haut wand sich unter meinen Augen. Dass er sie nicht sehen konnte, war nachvollziehbar – selbst die unerfahrensten Casterhexen wissen, wie sie jemanden derartig bearbeiten, dass er bestimmte Dinge nicht sieht –, aber dass er die öligen Bewegungen, das Schlüpfen und Gleiten eines unter seiner Haut eingebrachten Zaubers nicht bemerkte, war mir unerklärlich.
Stephen stampfte mit seinen gefesselten Füßen auf den Boden. „Jetzt hören Sie endlich auf, mich so blöde mit offenem Mund anzuglotzen! Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie mich zufriedenlassen sollen!“
Nun hörte er sich wirklich genauso an wie sein Vater.
„Nur noch einen letzten Rat, bevor ich gehe“, sagte ich. „Selbst wenn Sie diese Frauen nicht ermordet haben – was ich nach wie vor bezweifle –, hängen Sie mit in der Sache drin. Je weniger Sie mir erzählen, desto härter werde ich daran arbeiten, Ihren verhätschelten Arsch wegen Komplizenschaft dranzukriegen.“
„Darum geht’s Ihnen also, wie?“ fragte Stephen. „Sie hatten eine miese Kindheit, und jetzt versuchen Sie, mir aus Neid das Leben zu versauen.“
Ich stand auf und drückte auf die Klingel, damit der Aufseher kam, bevor ich ihm antwortete.
„Ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, damit Sie in der Gaskammer landen, bevor Sie noch eine weitere Person töten können, Stephen.“ Die Tür öffnete sich mit einem Klicken, und ich ging einen Schritt zur Seite, um den Aufseher hereinzulassen.
„Und nebenbei bemerkt“, fuhr ich fort, als Stephen an mir vorbei aus dem Raum geführt wurde, „ich hatte tatsächlich eine schwere Kindheit. Aber bevor ich auf Sie oder Ihr armseliges Leben neidisch werde, wird in der Hölle ein Eishockeyfeld eröffnet. Sie sind nichts weiter als ein erbärmlicher Wurm, der Abschaum dieser Gesellschaft.“
„Sie glauben wohl, dass Sie wissen, was los ist, was? Sie denken, Sie haben alles durchschaut, wie?“, geiferte Stephen und zerrte dabei wild an den Ketten um seine Gelenke. „Einen Scheiß wissen Sie! Sie sind nur eine einfältige Insoli, die besser am Gift des Bisses hätte verrecken sollen!“
„Vorwärts, Duncan!“, befahl ihm der Aufseher und stieß ihn
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