Nocturne City 02 - Blutfehde
Vortigers an einem Fluss, dem späteren Vortiger River, niederließen und eine Brauerei aufbauten. Da ihre Hoffnung auf ein besseres Leben im Westen jedoch unerfüllt blieb, gab die Familie den Betrieb irgendwann auf. Anscheinend war man damals der Meinung, dass der Bierdunst der alten Gemäuer blutrünstige Straftäter ruhigstellen würde, sodass die Stadtväter kurze Zeit später ein Gefängnis in der Brauerei einrichteten.
„Welchen unserer Prachtkerle wollen Sie denn sprechen, Detective?“, fragte die Wärterin, die von ihrem Käfig aus die alten Eisengitter kontrollierte, mit denen der Abschaum von Nocturne City hinter Schloss und Riegel gehalten wurde. Das Gebäudeinnere erinnerte mich bei jedem Besuch aufs Neue an den zweifelhaften Charme von Strafvollzugsanstalten wie Alcatraz oder Sing Sing und wirkte auch sonst wie ein Ort, an dem eher Bestrafung statt Rehabilitation auf der Tagesordnung stand.
„Arthur Samuelson“, sagte ich.
Sie hob eine ihrer dicken Augenbrauen, die wie Schokoriegel in ihrem zerknautschten Bulldoggen-Gesicht hingen, und schaute mich verwundert an. „SIR Samael, bitte schön! So viel Zeit muss sein“, korrigierte sie mich mit ironischem Unterton. „Der wird vor Freude im Dreieck springen, dass ihn endlich einer seiner Fans besuchen kommt. Ihre Pistole und alle anderen metallischen Gegenstände lassen Sie bitte hier.“
Nachdem ich alle Dinge, die den Insassen als Waffe hätten dienen können, in einen Plastikkorb gelegt und eine Quittung erhalten hatte, öffnete sich das Tor mit einem krächzenden Geräusch und gab den Weg ins Innere der Haftanstalt frei.
„Und danach Händewaschen nicht vergessen“, rief mir die Wärterin zu, bevor sie wieder in ihrem Kabuff verschwand.
Das Gefängnis war in drei Sektionen unterteilt: Anmeldung und Empfangsbereich auf der einen Seite, Vernehmungs- und Versammlungsräume in der Mitte und Zellenblock auf der anderen Seite. Um zu meinem Date mit Samael im Mittelteil des Gebäudes zu gelangen, musste ich einen langen Korridor mit feuchten Backsteinwänden entlanggehen, bis ich endlich an der Stahltür des Vernehmungszimmers ankam. Ich setzte mich und wartete laut den Zeigern der antiken Wanduhr ganze sieben ungeduldige Minuten, bis Samael endlich hereingebracht wurde.
Als er dann vor mir stand, wirkte er in seiner weiten Gefängniskleidung weitaus schmächtiger als bei unserem ersten Aufeinandertreffen. Auch sein Haar, das ihm in fettigen Strähnen ins Gesicht hing, trug nicht gerade zu einem ansprechenden Gesamteindruck bei. Als der Wärter die Fußfesseln an den Ring im Boden, kettete, wirkte Samaels Körper alt und erschöpft. Seine Augen aber funkelten noch immer wie zwei Tausend-Watt-Flutlichtstrahler.
„Was macht der Kopf?“, fragte er gehässig, nachdem der Wärter die Tür geschlossen hatte.
„Geht so. Und wie gefällt Ihnen die gesiebte Luft?“, konterte ich mit einem Grinsen. Im hellen Licht des Vernehmungszimmers hatte er rein gar nichts mehr von der furchteinflößenden Ausstrahlung, die mir im Bete Noire kalte Schauer über den Rücken gejagt hatte. Wahrscheinlich lag das aber auch an der Gewissheit, dass er mich nicht mehr bewusstlos schlagen und mit zwei notgeilen Werwolfmännchen in einen Käfig sperren konnte.
„Kann nicht klagen“, sagte er gelassen. „Die Leute hier drin sind leichter kontrollierbar als die draußen.“
„Sie stehen auf Kontrolle, oder?“ Samael griente, als ob ich ihm gerade einen Schokoriegel angeboten hätte und eine Antwort völlig überflüssig wäre.
„Ich glaube, das haben Sie bereits herausgefunden, meine Liebe.“ Der hypnotische Tonfall seiner Stimme mutete reichlich gestelzt an und wollte so gar nicht zu seinem kotzgrünen Gefängnis-Overall passen.
„Mordkommission“, sagte ich.
Samael blinzelte verwirrt.
„Wie bitte?“
„Ich bin Mordermittlerin“, antwortete ich. „Und wenn Sie mich das nächste Mal nicht mit Ma’am oder Detective ansprechen, ramme ich Ihre arrogante Visage durch diesen Tisch, haben wir uns verstanden?“
Samael legte den Kopf leicht in den Nacken und musterte mich. „Da hab ich wohl keine andere Wahl, was?“
„Richtig erkannt“, stimmte ich zu. „Erzählen Sie mir was über Vincent Blackburn.“
„Verwirrt. Übersensibel. Schlechter Fick“, antwortete er einsilbig, wobei der Ansatz eines verächtlichen Lächelns seinen Mund umzuckte. Trotz meiner Drohungen und seiner Fußfesseln fühlte er sich sicher und mächtig, weil er wusste, dass ich
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