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Nocturne City 02 - Blutfehde

Nocturne City 02 - Blutfehde

Titel: Nocturne City 02 - Blutfehde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlin Kittredge
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Sturz aus dieser Höhe ohnehin nicht sonderlich viel genützt hätte. Ohne nach unten auf den Sims zu schauen, befestigte ich den Karabinerhaken des Gurtsystems an der Stange und schwang ein Bein über die Dachkante. Dann bat ich alle mir bekannten Götter, einschließlich der Strahlenden Herrscherin des Mondes, in einem stillen Gebet darum, besonders gut auf kletternde Werwolfweibchen achtzugeben, und begann mit wild klopfendem Herzen meinen langen Abstieg in die Tiefe.
    Mit den Beinen stützte ich mich an der Glasoberfläche des Towers ab und glitt dann Stück für Stück an der Sicherungsstange nach unten. Neben der Angst in meinem Kopf und der Erschöpfung in meinen Gliedern musste ich auch gegen den scharfen Wind ankämpfen. Mit wilden Böen versuchte er immer wieder, mich von der Stange zu reißen und in den Abgrund zu stoßen. Als ich nach einem gefühlten Jahrhundert meine Füße endlich auf den Asphalt der Lieferzone auf der Rückseite des Towers setzte, brach ich auf der Stelle zitternd zusammen.
    Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, tastete ich mit der

Hand nach meiner Beute und brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich es lebend und mitsamt dem Schädel aus dem Tower geschafft hatte. Das Gefühl des Triumphs wurde aber schon im nächsten Moment von der Erkenntnis getrübt, dass ich die Reliquie nun in Sicherheit bringen musste. Mein Cottage kam nicht infrage, und da ich auch nicht sonderlich erpicht auf eine erneute Suspendierung wegen schwerer psychischer Probleme war, stand auch das Revier nicht zur Debatte.
    Ich wusste, dass mich mein Cousinchen dafür hassen würde, aber ich hatte keine andere Wahl: Das Haus meiner Großmutter war der einzige Ort, den ich für absolut sicher hielt – zumindest so lange, bis Seamus herausfinden würde, was ich getan hatte.

29
    Als ich gegen halb neun am Haus meiner Großmutter ankam, wirkte es so ruhig wie immer: Durch die Fenster drang seichtes Licht nach draußen, und vor der Tür konnte man sanfte klassische Musik hören. Es waren zwar nur neunzig Minuten vergangen, seitdem ich in den O’Halloran Tower eingedrungen war, aber wenn man eine unbezahlbare Reliquie in einem Stoffbeutel durch die Gegend schleppt, kommt einem jede Minute wie eine Ewigkeit vor.
    Hastig hämmerte ich gegen die Tür und riss durch mein heftiges Pochen wahrscheinlich sämtliche Nachbarn aus ihren Fernsehsesseln. Während ich wartete, lief ich nervös auf und ab und sah mich unruhig um. Hinter jedem Busch und jedem Strommast vermutete ich die Schergen von Seamus, die nur darauf warteten, über mich herzufallen. Meine Paranoia war begründet, schließlich stand ich mutterseelenallein in einer Sackgasse am Strand, die nur vom schwachen Licht des Mondes beleuchtet wurde. Ungeduldig klopfte ich erneut, und diesmal öffnete Sunny die Tür. Sie hatte eine Jogginghose und ein zerschlissenes Pretenders-Shirt an, das mir sehr bekannt vorkam.
    „Sunny, langsam solltest du wirklich damit aufhören, ständig meine Klamotten mitgehen zu lassen.“
    Mit schräg gelegtem Kopf schaute sie mich an. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wovon du sprichst, Luna. Was machst du überhaupt hier?“
    „Erzähl ich dir gleich. Sag mal, schläft Rhoda schon?“, fragte ich, während ich mich durch die halb geöffnete Tür ins Haus drängte.
    „Nein, sie schläft noch nicht“, antwortete meine Großmutter, die urplötzlich hinter Sunny im Flur aufgetaucht war. Bingo, Luna! Das kann ja heiter werden!
    Entnervt verdrehte ich die Augen. „Schön, dich wiederzusehen, Rhoda.“
    „Es ist schon sehr spät“, erwiderte sie abweisend. „Außerdem sind wir beschäftigt.“ Einmal mehr fiel mir auf, dass Rhoda so aussah wie die Frauen auf den vergilbten Fotos, die man hin und wieder in der Abteilung „Amerikanische Pionierzeit“ provinzieller Trödelläden fand – der gedrungene Körper mit dem scheinbar halslosen Kopf und dem dickköpfigen Ausdruck auf der Stirn wurde durch die humorlosen Augen einer verbissenen Puritanerin komplettiert. Bei ihrem Anblick bekam man unweigerlich das Gefühl, dass sie eigentlich immer noch in einem Siedlertreck westwärts ziehen müsste, um Büffel zu jagen und Indianer zu vertreiben. Wenn es tatsächlich den Stereotyp einer weisen alten Hexe gab, war meine Großmutter Lichtjahre davon entfernt.
    „Keine Angst, Rhoda, ich werde dich nicht belästigen“, beschwichtigte ich sie. „Eigentlich wollte ich nur mit Sunny sprechen.“
    „Komm später wieder“, erwiderte

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