Nocturne City 02 - Blutfehde
befürchtet hatte.
„Und Sie sind sich wirklich sicher, dass Sie wissen, wo wir hin müssen?“, fragte Shelby und blickte dem flüchtenden Werwolf nach. Ich antwortete nicht sofort, sondern betete lautlos, nicht als Nächstes den testosterongeschwängerten Gefährten des beinah überfahrenen Werwolfs zu begegnen. Ein Ford Fairlane war eigentlich nur bedingt dafür ausgelegt, seine Insassen vor einer größeren Gruppe notgeiler Werwolfmännchen zu schützen.
„Nicht so richtig“, antwortete ich wahrheitsgemäß, „aber ich habe das Gefühl, dass wir das Gebäude erkennen werden, wenn wir es sehen.“ Ohne Shelby nähere Einzelheiten zu unserem Ziel zu nennen, fuhr ich weiter und hielt dabei meine Augen nach allem offen, was auch nur entfernt nach Sigillen, Wächtermarkierungen oder besonders blutarmen Mitbürgern aussah.
Eigentlich hatte ich gehofft, nie wieder nach Ghosttown zurückkehren zu müssen, aber aus dem einen oder anderen Grund tat ich es trotzdem immer wieder. Nicht allzu weit vom Boulevard entfernt hatte ich vor ein paar Monaten Alistair Duncan in einer von den Riots fast vollends verwüsteten Gegend zur Strecke gebracht. Leider war ich zu spät gekommen, um ihn davon abzuhalten, Dmitris Schwester Olya für seinen Zauber zu opfern, aber dafür hatte sich die Wölfin in mir alle Zeit der Welt genommen, um ihn vor seinem Tod die Angst seiner Opfer spüren zu lassen.
„Hör auf damit!“, ermahnte ich mich selbst.
„Womit?“, fragte Shelby, aber ich winkte nur kopfschüttelnd ab und grübelte weiter. Vielleicht hätte ich Alistair Duncan damals einfach mit einem sauberen Kopfschuss töten sollen, anstatt ihm als Werwölfin gegenüberzutreten. Dann würden jetzt zumindest nicht immer wieder jene blutigen Erinnerungen in mir aufsteigen, die mich seither mit Gefühlen von Schuld und Abscheu quälten. Ich wusste, dass diese Gedanken unsinnig waren und es unausweichlich gewesen war, Duncan zu töten – ob mit einer Kugel in den Kopf oder ein paar scharfen Eckzähnen in die Kehle hätte dabei letztlich keine Rolle spielen sollen, denn ich hatte nur getan, was nötig gewesen war und von mir verlangt wurde. Und dennoch: Ich konnte nun einmal nicht verleugnen, dass ich mich damals willentlich der Verwandlung ergeben und der Wölfin in mir freie Hand gelassen hatte … und dass deswegen wieder jemand getötet worden war.
Als dann endlich ein Backsteingebäude mit einer roten Blutsigille an der Tür auftauchte, fühlte ich mich regelrecht erleichtert. Anscheinend war es mittlerweile schon so weit mit mir gekommen, dass ich mich auf die Begegnung mit dem Oberhaupt eines für Schwarzmagie und Menschenopfer berüchtigten Hexenclans freute, nur um meinen eigenen Gedanken aus dem Weg zu gehen.
„Oh Mann“, seufzte Shelby. „An diesem Ort möchte ich wirklich so wenig Zeit wie möglich verbringen.“ Zögerlich stieg sie aus dem Wagen und zog ihr Hemd hoch, sodass man die Waffe in ihrem Gürtelholster unmöglich übersehen konnte.
„Geht mir genauso“, stimmte ich zu und schloss den Fairlane ab, obwohl ich wusste, dass es in dieser Gegend recht wenig nützen würde.
„Sie können sich gar nicht vorstellen, was für Geschichten mir über diese Leute zu Ohren gekommen sind“, flüsterte Shelby auf dem Weg zur Tür. Ich klopfte und erstarrte, als mein Blick auf das rote Zeichen vor mir fiel. Meine Nase gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass es mit echtem Blut auf die Tür gemalt worden war – alt zwar und getrocknet, aber echtes menschliches Blut!
„Doch, ich kann’s mir vorstellen“, brummte ich und wischte meine feuchten Hände an der Jeans ab. „Hören Sie, Shelby, wenn wir jetzt da reingehen, dann versuchen Sie doch einfach … äh … versuchen Sie einfach, nicht so zu sein wie sonst immer. Verstehen Sie? Ich denke, dass wir die Sache dann auch in null Komma nichts hinter uns bringen werden.“
„Sicher doch“, schnaubte Shelby. „Und danach fassen wir uns alle an den Händen und gehen in der Hölle Schlittschuhlaufen.“
Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und ein Gesicht mit eingefallenen Wangen linste nach draußen. „Was wollen Sie?“
Mit einem Lächeln zeigte ich meine Marke, was sich in einer Gegend wie Ghosttown erwartungsgemäß als wenig förderlich erwies.
„Cops sind hier nicht willkommen. Verpisst euch lieber wieder“, raunte mir der Mann mit dem Fahlen Gesicht zu.
Blitzschnell stellte ich meinen Fuß in den Türspalt und schwor mir, dass ich mir das
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