Nocturne City 02 - Blutfehde
erneut, um die richtigen Worte zu ringen. „Ihr Bruder Vincent ist heute Abend tot aufgefunden worden.“ Obwohl ich wusste, dass es weder Valerie noch Victor in diesem Moment interessieren würde, fügte ich nach einer kurzen Pause hinzu: „Wie es scheint, ist er an einer Überdosis gestorben.“
„Nein!“, schrie Valerie zutiefst getroffen auf und stürzte sich in die Arme ihres Vaters. „Das ist … das ist nicht möglich!“
„Ich fürchte, dass es genau so passiert ist“, bemerkte Shelby leise und ergriff damit zum ersten Mal seit unserem Eintreten das Wort. Hastig zog sie einen Notizblock und einen Stift hervor und kritzelte das Datum auf den oberen Rand des ersten Blattes. „Wenn Sie sich jetzt bitte wieder fassen würden, Ms Blackburn, wir brauchen nämlich ein paar Informationen von Ihnen. Wie lange hat Ihr Bruder bereits Drogen konsumiert?“
Kaum hatte Shelby diese Worte ausgesprochen, riss Victor den Kopf hoch. Mit brennendem Blick fixierte er sie wie ein in die Enge getriebenes Raubtier. „Wie bitte? Was, bei den sieben Höllenfeuern, soll das bitte schön bedeuten?“
Unwirsch packte ich Shelby am Ellbogen und zog sie in die andere Ecke des Raums, sodass wir mit dem Rücken zu den Trauernden standen. „Sind Sie wahnsinnig? Was soll das werden, wenn’s fertig ist, Shelby?“
„Wie sieht es denn für Sie aus? Ich nehme gerade die Aus sagen von Vincent Blackburns Komplizen auf“, antwortete sie in einem absurd sachlichen Ton.
„Shelby, diese Leute sind keine Komplizen, sondern die Familienangehörigen des Toten! Sie haben gerade erfahren, dass ein geliebtes Familienmitglied verstorben ist, also lassen Sie sie fürs Erste zufrieden, okay?“
„Warum das denn? Damit sie sich gemeinsam eine Geschichte zurechtlegen können?“, schoss Shelby trocken zurück. Ich schüttelte fassungslos und missbilligend den Kopf, doch sie blieb unbeirrbar und marschierte im nächsten Augenblick wieder auf Valerie zu. „Ms Blackburn, würden Sie sagen, dass der Lebensstil Ihres Bruders das Risiko eines solchen Vorfalls mit sich gebracht hat?“
„Sie haben vielleicht Nerven, Sie Miststück!“, schluchzte Valerie, während die ersten Tränen aus ihren Augen kullerten. „Nur weil wir keine Kreise in den Dreck kritzeln, denkt ihr O’Hallorans wohl, dass ihr was Besseres seid? Oder reißen Sie hier die Klappe so weit auf, weil Sie Angst haben, Detective?“ Flink löste sich Valerie aus der schützenden Umarmung ihres Vaters, baute sich vor Shelby auf und tippte mit dem Zeigefinger gegen deren Brust. „Angst davor, was die bösen Bluthexen mit Ihnen anstellen könnten? Ich wette, Sie denken, dass mein Bruder es verdient hat zu sterben. Ist es nicht so, Kreiskritzlerin?“
„Treten Sie zurück, Ms Blackburn!“, blaffte Shelby und legte ihre Hand an den Gürtel.
„Der Teufel soll Sie holen!“, fauchte Valerie, ohne der Aufforderung nachzukommen, während Shelby mit einer hastigen Bewegung ihre Waffe aus dem Holster riss. Ohne viel nachzudenken, stürzte ich mich auf meine Partnerin. Ich griff den Lauf ihrer Pistole und drehte ihn samt Handgelenk und Abzugsfinger zur Seite. Dann schüttelte und zerrte ich an ihrer Hand, bis sie die Waffe losließ, und bog ihr den Arm auf den Rücken.
Shelby schrie vor Schmerz, versuchte sich aber trotzdem mit ganzem Körpereinsatz zu wehren.
„Beruhigen Sie sich, verdammt noch mal!“, knurrte ich mit gefletschten Zähnen, aber Shelby ließ nicht locker und stemmte sich mit aller Kraft und um sich tretend gegen meinen Griff. Ein Stechen in Kiefer und Auge kündigte mir das Unvermeidliche an: Durch die körperliche Auseinandersetzung gereizt, kletterte die Wölfin aus ihrer Höhle, sodass meine Augen goldfarben aufloderten und meine Reißzähne hervortraten.
„Bei den Allmächtigen“, murmelte Victor erstaunt. „Ich an Ihrer Stelle würde tun, was sie sagt, Ms O’Halloran!“
Shelby wandte mir den Kopf zu und erstarrte sofort zur Salzsäule, als sich unsere Blicke trafen. „Ach du Scheiße!“
Ach du heilige Scheiße hätte es wohl besser getroffen, denn ich stand kurz davor, die Kontrolle über die Wölfin in mir zu verlieren. Wild heulend hatte sie ihre Zähne gefletscht und verlangte nun danach, freigelassen zu werden, um meinen Körper von innen nach außen zu kehren und sich in einen Kampf zu stürzen, den sie zwar nicht begonnen hatte, aber nur allzu gern beenden wollte.
„Lassen Sie mich los, Luna!“, schrie Shelby mich panisch an.
„Tun Sie uns
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