Nocturne City 02 - Blutfehde
Leib zu erleben.“
Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, ging die Stahltür vor uns auf, und ein auf den ersten Blick recht harmlos wirkender Türsteher mit schwarzem T-Shirt und Jeans fragte nach unseren Ausweisen. Ich reichte ihm meine Fahrerlaubnis. Nachdem er sie unter einer Schwarzlichtlampe auf Echtheit geprüft hatte, trat er zur Seite und winkte uns herein.
„Könnte ich bitte meinen Führerschein wiederhaben?“, fragte ich und streckte ihm auffordernd meine Hand entgegen. Der gute Mann schüttelte aber nur den Kopf, sodass seine zum Pferdeschwanz gebundenen Haare hin und her flogen.
„Den kriegen Sie erst zurück, wenn Sie wieder gehen. Viel Spaß, meine Damen!“
Ich zögerte, aber Shelby drängelte von hinten und schubste mich quasi in den Club hinein, wo wir augenblicklich in ein Meer aus basslastiger Clubmusik, dämmrigem Halblicht und verschiedensten Gerüchen eintauchten.
Weder der traumatische Angriff von Joshua, der mich vor fünfzehn Jahren in eine Werwölfin verwandelt hatte, noch die verstümmelten Leichen, die ich tagtäglich in meinem Job zu sehen bekam, hatten mich genug abgehärtet, um ausreichend auf das Innere des Bete Noire vorbereitet zu sein.
Im Zentrum des Clubs stand ein achteckiger Käfig, um den vier erhöhte Plattformen angeordnet waren. Der Rest des relativ kleinen und ausnahmslos schwarz gestrichenen Raumes war mit Tischen vollgestellt. Die einzige optische Abwechslung boten ein DJ-Pult und die behelfsmäßig aus Sperrholz zusammengezimmerte Bar. Rosafarbenes Licht, der pulsierende Bass der House-Musik und das Gesprächswirrwarr von fast einhundert Menschen erfüllten einen Club, der für weniger als die Hälfte ausgelegt war.
„Verdammt noch mal!“, fluchte Shelby, als ein Mann sie anrempelte, der bis auf ein zerrissenes Netzhemd vollkommen unbekleidet war. Schon nach wenigen Augenblicken im Club erblasste ihr Gesicht scheinbar vollkommen, und der panische Ausdruck in ihren Augen glich dem eines Menschen, der gerade erkannt hat, dass das helle Licht am Ende des Tunnels ein auf ihn zurasender Güterzug ist.
Ich folgte ihrem starrenden Blick und musste schlucken, als ich auf das Geschehen im Zentrum des Raums aufmerksam wurde. Im Käfig stand eine Frau im Korsett, mit verbundenen Augen und Ballknebel im Mund, die man an die Gitterstäbe gekettet hatte. Davor wartete eine Schlange von Gästen beiderlei Geschlechts darauf, zu ihr gelassen zu werden. Im Fünf-Minuten-Takt betraten die Wartenden nacheinander den Käfig und machten sich im wahrsten Sinne des Wortes an der Frau zu schaffen. Manche benutzten Peitschen, andere „Spielzeuge“ vom danebenstehenden Tisch und einige ihre bloßen Hände.
Shelby starrte wie gebannt auf die Vorgänge im Käfig. Erst als Ich sie mit festem Griff am Oberarm packte, schien sie wieder aufzuwachen. „Guten Morgen, Shelby! Warum holst du uns nicht ein paar Drinks?“
Mit einem zögerlichen Nicken schaffte sie es dann endlich, Ihre Augen von der angeketteten Frau loszureißen, und drängelte sich durch die wuselnde Menschenmenge in Richtung Bar. Beruhigt atmete ich auf. Noch so eine auffällige Glotzattacke, und unsere Tarnung war dahin.
Auf der Suche nach einer Sitzgelegenheit schob ich eine dürre Krau im Bodysuit aus dem Weg und sicherte uns einen kleinen Tisch mit zwei Stühlen. Die leeren Gläser der vorherigen Gäste musste ich selbst beiseite räumen, wobei ein Pulver von puderzuckerähnlicher Konsistenz an meinen Fingern kleben blieb. Nach einer flüchtigen Geruchsprobe, bei der mir der Geruch von Bleiche und einer nicht identifizierbaren süßlichen Note in die Nase kroch, leckte ich vorsichtig an meinem Zeigefinger. Meine Zungenspitze war sofort taub. Offensichtlich konsumierte man im Bete Noire reichlich hochwertiges Kokain, um die erniedrigenden Fesselspiele noch etwas aufzupeppen. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, starrte ich wieder in die Menge. Selbst wenn die Gäste an den umliegenden Tischen kiloweise weißes Pulver schniefen würden, hätte ich unter diesen Umständen nichts unternehmen können … oder wollen. Das Einzige, was mir übrig blieb, war darauf zu warten, dass Samael auftauchen würde. Was für ein Name!, schoss es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich hieß Samael in Wirklichkeit Herbert und hatte genauso viel mit dem Erzengel gleichen Namens gemein wie ich mit Paris Hilton.
„Dürfte ich vielleicht Ihre Schuhe putzen?“
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der die Stimmt« kam, und
Weitere Kostenlose Bücher