Nördlich des Weltuntergangs
Bischof war noch ziemlich unsicher auf den Beinen. Zum Frühstück hatte es im Hochzeitshaus Bier und einen Schluck Schnaps gegeben, außerdem hatte man ihm als Wegzehrung Eisbein und einen kleinen Krug Kräuterschnaps eingepackt. Die beiden geistlichen Herren wurden in Decken gewickelt und auf den Weg geschickt. Das Ehepaar Toropainen und Feldpröbstin Hillikainen standen vor dem Haus und winkten zum Abschied.
Im Dorf Kalmonmäki fiel dem Bischof plötzlich ein, dass er im Hochzeitstrubel völlig den eigentlichen Zweck seiner Dienstfahrt vergessen hatte, nämlich die Kirche und den Friedhof zu weihen.
»Verflixt, die Kirche ist nicht geweiht!«
Der Assessor knurrte schläfrig aus seinen Decken, dass Tuirevi Hillikainen doch bereits beides geweiht habe, ob das nicht reiche. Außerdem steckten in seiner Aktentasche die von Toropainen unterschriebenen Urkunden. Alles habe seine gesetzliche Ordnung.
Der Bischof nahm einen Schluck kalten Schnaps aus seinem Krug, drückte den Korken hinein und sagte entschieden:
»Der Bischof von Kuopio macht keine halben Sachen. Was soll Gott dazu sagen, wenn ich diese Kirche jetzt ungeweiht zurücklasse?«
Der Assessor vermutete, dass Gott durchaus zufrieden sein würde, wenn man nicht noch einmal umkehrte, zumal der Bischof nach durchzechter Nacht gerade erneut einen Rausch bekam.
»Ich lasse nicht eine unschuldige Kirche zurück, die von einer Frau geweiht wurde«, beschloss der Bischof und befahl dem Kutscher, zurückzufahren.
In Ukonjärvi hielten sie direkt vor dem Eingang der Kirche. Der Kutscher und der Assessor halfen dem Bischof aus dem Schlitten und führten ihn hinein. Er stützte sich mit einer Hand auf den Altar, schwenkte mit der anderen seinen Bischofsstab und sprach, um Festigkeit in der Stimme bemüht:
»Ich weihe diese Kirche. Halleluja! Amen!«
Mehr Aufwand hielt er nicht für erforderlich. Daraufhin führte man ihn zum Friedhof, wo sich der Vorgang wiederholte, nur mit dem Unterschied, dass sich der Bischof diesmal auf den Zaun stützte. Als er wieder im Schlitten saß, trank er einen tüchtigen Schluck aus seinem Schnapskrug, dem Assessor bot er vorsichtshalber keinen an. Bis nach Kontiomäki war es eine lange Fahrt. Für einen Dummschwätzer ist Gottes Korn zu schade, sagte sich der Bischof. Er wies den Kutscher an, die Peitsche knallen zu lassen. Der Hengst fiel in einen scharfen Galopp. Zum Abschied schmetterte der Bischof einen Psalm, der durch die beißende Frostluft hallte, während der Schlitten in der verschneiten Landschaft verschwand, die magisch schön wie ein Gotteshaus war.
26
Der ergraute Eemeli Toropainen saß im großen Wohnzimmer seines Herrenhauses. Vor ihm auf dem Tisch lag ein dickes Buch, in dem mit fester Handschrift Rechnungsbeträge eingetragen waren. Auf dem Deckel stand die Jahreszahl 2010.
Der Stiftungsdirektor war inzwischen zweiundsechzig. Zwei Jahre zuvor, zum sechzigsten Geburtstag, hatten ihm seine Leute am See ein Herrenhaus gebaut. Es stand am selben Ufer wie das Pfarrhaus, nur ein wenig höher am Hang. Das Herrenhaus war größer als das Pfarrhaus. In einem Flügel wohnten die Dienstboten, im anderen, besseren Flügel Stiftungsdirektor Toropainen mit seiner Frau, der ehemaligen Zugreinigungschefin Taina Toropainen. Taina reinigte keine Züge mehr, das wurde in Finnland ohnehin kaum mehr getan. Sie war damit ausgelastet, das Herrenhaus in Schuss zu halten, außerdem unterstützte und begleitete sie ihren Mann, wenn er in den einzelnen Dörfern unterwegs war, um die Leute anzuleiten. Herzkrank, wie er war, sollte er weite Fahrten besser nicht allein machen, fand sie.
Ihr gemeinsamer Sohn Jussi war bereits siebzehn Jahre alt und wartete auf seine Einberufung in die Partisanenkompanie von Ukonjärvi. In der finnischen Armee wollte er seine Wehrpflicht nicht ableisten, dann würde er im Kriegsfalle womöglich an eine weit entfernte Front geschickt, schließlich gehörte Finnland zu den gemeinsamen europäischen Streitkräften. Die Union akzeptierte den Dienst in Heimatschutztruppen als Ersatz für die Wehrpflicht, eine Regelung, die die Schweiz seinerzeit durchgesetzt hatte. Die Partisanenkompanie von Ukonjärvi wurde als eine solche lokale Schutztruppe anerkannt.
Eemeli Toropainen schob das Rechnungsbuch beiseite und nahm das Inventarverzeichnis aus dem Regal. Das Heft war ein wenig schmuddelig, man sah, dass darin oft geblättert wurde.
Die Eintragungen waren unterteilt nach den einzelnen Einrichtungen der Stiftung:
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