Nördlich des Weltuntergangs
Jahres ein Probeexemplar konstruieren könne. Danach könnten problemlos weitere hergestellt und das Modell weiterentwickelt werden.
Die Männer bestätigten die Absprache mit Handschlag, und Taina Toropainen holte den Schnapskrug aus ihrem Korb. Alle tranken einen Schluck, auch Taina und die Gesellen. Dann begannen die Burschen, mit der Schmiedezange auf einen Fassdeckel zu schlagen, und der Jüngste von ihnen führte dazu einen Tanz auf.
In dem Moment kam aus Richtung Valtimo ein achtzehnjähriges, offenbar geistesgestörtes Mädchen angerannt. Sie war völlig außer Atem und rief im Näherkommen:
»New York ist im Müll versunken!«
Bedauernswerte Geschöpfe wie sie trieben sich jetzt überall im Land herum, seit die Nervenkliniken aus Mangel an Personal geschlossen worden waren. Dieses Mädchen stammte dem Vernehmen nach ursprünglich aus Loimaa, war aber, vom Hunger getrieben, in Kainuu gelandet. Sie war mit einem Proviantbündel über der Schulter durch die Straßen gelaufen, bis man ihr in einer Bierbar in Valtimo den Tipp gegeben hatte, nach Ukonjärvi zu gehen, wo die Leute, wie allgemein bekannt war, mehr zu essen hatten, als sie selbst brauchten. Das Mädchen hatte die Angewohnheit, vornübergebeugt zu laufen, da sie früher einmal geritten war. Sie wieherte auch gern.
Jetzt kam das Mädchen, das der »Fliegende Engel« genannt wurde, aus Valtimo und erklärte, dass sie am nächsten Tag wieder dorthin zurücklaufen wolle. Manchmal lief sie bis zu hundert Kilometer an einem Tag, sie liebte die Bewegung, und man ließ ihr das Vergnügen. Im Sommer lief sie barfuss, im Winter trabte sie in Lappenstiefeln über die Straßen.
Hin und wieder gaben ihr die Leute Briefe mit, oder sie versuchten ihr Besorgungen aufzutragen. Nur selten gingen die Briefe verloren, und im Allgemeinen wurden die Aufträge erledigt. Schwere Lasten mochte der »Fliegende Engel« beim Laufen allerdings nicht tragen. Einmal hatte ihr jemand ein Drittelfass Butter auf den Rücken geschnallt. Das war ihr schon auf halber Strecke zu viel geworden, sie hatte zwei Kilo davon gegessen und mit dem Rest die Kiefernstämme am Straßenrand eingeschmiert.
Der »Fliegende Engel« bekam belegte Brote und Bier, jedoch keinen Schnaps. Auch die Schmiedegesellen bekamen vorsichtshalber keinen mehr. Taina Toropainen sagte:
»Armes Mädchen. Ich würde sie zu uns ins Haus nehmen, aber sie hält es ja nirgendwo auch nur einen Tag aus, sowie man sie aus den Augen lässt, ist sie weg.«
»So sind die Frauen eben«, bestätigte der Somali, dessen weiße Frau im vergangenen Herbst nach Grünberg gezogen war.
Taina und Eemeli brachen auf. Die Schmiedegesellen trommelten vor der Werkstatt weiter auf dem Fass herum und tanzten. Der »Fliegende Engel« flatterte bei ihnen herum, bis ihr einfiel, dass sie weitermusste. Sie rannte auf die Straße und verschwand in Richtung Uuranvaara, ihre lange blonde Flachsmähne wehte im Wind.
27
Am Nachmittag kamen Taina und Eemeli im Dorf Rajakylä an, das sich genau wie Sepänkylä auf dem Gebiet des ehemaligen Gemeinwaldes von Valtimo befand. Um den See Rajalampi herum waren etwa zwanzig Häuser entstanden, dazu ein Kuhstall, eine Hühnerfarm und ein Gefängnis.
Das Gefängnisgebäude war bald nach der Jahrtausendwende aus stabilen Balken errichtet worden, es enthielt zwei Zellen, dazu eine Wohnung für den Wärter, und es stand an der Nordseite des Sees in einem dunklen Fichtenwald. Melancholische Saxofonklänge waren aus der Richtung des Gefängnisses zu vernehmen, als die Toropainens auf den schmalen Weg, der zu dem Gebäude führte, einbogen.
Das Gefängnis wurde derzeit von Oberst Arkadi Lebedew geleitet, auch er inzwischen ein Mann von über sechzig. Lebedew hatte sein Amt als Hirte schon vor Jahren aufgeben müssen, als mit zunehmendem Alter sein Orientierungssinn nachließ. In seinem letzten Hirtensommer hatte er die Bullenherde zweimal in der Einöde verloren. Eines der Tiere war in einem Sumpf ertrunken, und der Oberst selbst war halb verhungert in der Nähe der russischen Grenze gefunden worden. Das Saxofon war voller Schlamm gewesen.
Der Gefängnisdirektor, der eine altmodische Uniform trug, legte das Saxofon auf die Stufen und eilte dem Stiftungsdirektor und seiner Frau entgegen.
»Welche Überraschung, liebe Freunde! Tretet ein, ich koche Tee!«
Der Oberst führte das Ehepaar in seine Wohnung. Sie bestand aus zwei Räumen, einer Wohnküche und einer Schlafkammer. Alles war sauber, auf dem Tisch
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