Nördlich des Weltuntergangs
lagen Spitzendecken, und auf dem Herd stand ein Samowar. Der Oberst stellte den Samowar auf den Esstisch, dann trug er allerlei Herzhaftes auf: Gurken, Sauerkohl, Käse, Brot. Man setzte sich zur Mahlzeit.
Die angenehme Teestunde wurde von Zeit zu Zeit dadurch gestört, dass es hinter der Balkenwand laut dröhnte, das kleine Haus schien jedes Mal zu schwanken. Der Oberst erzählte, dass sich hinter der Wohnküche die Zelle für die männlichen Gefangenen befand. Derzeit saß dort ein wüster hünenhafter Mörder ein, der die Eigenheit hatte, gegen die Wand zu treten und daran zu rütteln. Das hatte er sich im Laufe seiner vielen Haftaufenthalte in den verschiedenen Gefängnissen des Landes angewöhnt.
Eemeli Toropainen wunderte sich ein wenig. Er konnte sich nicht erinnern, dass bei den Gerichtssitzungen von Ukonjärvi – die seit der Jahrtausendwende regelmäßig stattfanden – ein solcher Fall behandelt worden war. Wie war es möglich, dass in seinem Gefängnis ein Mörder saß, von dem er nichts wusste?
Der Oberst erklärte, die Sache sei ihm nicht so wichtig erschienen, dass sie im Herrenhaus hätte gemeldet werden müssen. Es verhielt sich nämlich so, dass der besagte Mörder kein Hiesiger war. Naukkarinens Partisanen hatten ihn auf der Straße zum Hiidenvaara festgenommen. Der Mann hatte gestanden, dass er aus dem Turkuer Zentralgefängnis Kakola ausgebrochen war. Er hatte die Absicht gehabt, sich unbemerkt über Hiidenvaara nach Sotkamo und von da in den Norden des Landes durchzuschlagen.
Nachdem der Mann zum Verhör ins Gefängnis gebracht worden war, hatte sich dann herausgestellt, dass er im Jahre 2008 einen Mord begangen und von der Strafe, zu der er verurteilt worden war, erst zwei Jahre abgesessen hatte. Da die Tat nicht auf dem Gebiet der Stiftung verübt worden war, bestand aus juristischer Sicht kein Anlass, das dafür verhängte Urteil im Gefängnis von Rajakylä zu vollstrecken, und außerdem verursachte ein so hünenhafter Häftling einer kleinen Gemeinde nur Kosten.
»Er ist ein großer Kerl und braucht eine Menge Essen«, erklärte der Oberst. Nur konnte seiner Meinung nach ein Mann, der ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte, nicht so ohne weiteres wieder auf freien Fuß gesetzt werden. So hatte er in seiner Eigenschaft als Gefängnisdirektor den Mann zu einem Monat Haft verurteilt, den dieser jetzt abbüßte. Er donnerte schon seit drei Wochen gegen die Wand seiner Zelle. In der folgenden Woche würde der Oberst ihn mit Stricken auf einem Pferdewagen festbinden und nach Sotkamo schaffen, wo er ihm einen derben Tritt in den Hintern geben und ihn auffordern würde, künftig um die Gemeinde Ukonjärvi einen großen Bogen zu machen.
Eemeli Toropainen billigte ohne Einwände die administrative Entscheidung des Oberst.
Der Tee war getrunken und die Neuigkeiten waren ausgetauscht. Der Oberst brachte die Gäste nun zu dem Mörder, der tatsächlich überaus groß und starkknochig und vielleicht vierzig Jahre alt war. Als die Zellentür geöffnet wurde, versuchte er auszubrechen, wich aber zurück, nachdem er die Faust des Oberst zu spüren bekommen hatte.
Eemeli Toropainen fragte ihn, ob er im Gefängnis von Rajakylä anständig behandelt werde. Ob das Essen zufrieden stellend und die Zelle erträglich sei.
Der Mörder hatte keine anderen Klagen als die, dass man ihn ohne rechtswirksames Urteil festhalte. Er erklärte, er falle unter den Strafvollzug des finnischen Staates und somit habe eine private Haftanstalt kein Recht, seine Freiheit einzuschränken. Außerdem habe ein Oberst, der aus Russland stamme, in Finnland keine richterlichen Befugnisse. Das Essen sei ansonsten gut und ausreichend, da gebe es nichts zu bemängeln. Die Bedingungen seien mit Kakola gar nicht zu vergleichen. Dort sei es schmutzig und dunkel gewesen, und es habe so wenige Wärter gegeben, dass manchmal tagelang niemand in die Zelle geschaut habe. Die Häftlinge hatten regelrecht gehungert, und viele seien krank oder verrückt geworden. Wegen dieser Qualen habe er beschlossen zu fliehen. Nach diesen Worten brach der Mann in Tränen aus.
Der Oberst schloss die Zelle ab.
»Durch Weinen kommt man hier nicht raus«, konstatierte er und öffnete dann die Tür der Frauenzelle.
In der hintersten Ecke saß eine etwa dreißigjährige Frau mit wirren Haaren, die ihr Gesicht zur Wand drehte und kein Wort sagte. Sie hatte zehn Tage Haft ohne Bewährung bekommen, wozu sie das Dorfgericht von Hiidenvaara nach der Maifeier
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