Nördlich des Weltuntergangs
verurteilt hatte. Grund für das Urteil waren ihr loses Mundwerk und ihr fortgesetzter unsittlicher Lebenswandel gewesen. Die Anzeige war durch die Frauen vom Hiidenvaara erfolgt, die den ständigen Klatsch und vor allem die Tatsache satt hatten, dass diese Frau regelmäßig die Männer des Dorfes zu sich lockte, allem Anschein nach mit großem Erfolg. Die Beschuldigte hatte zwischen zwei Urteilen wählen dürfen: entweder auf dem Kirchenhügel von Ukonjärvi an drei Sonntagen für jeweils eine Stunde am Pranger zu stehen oder für zehn Tage ins Gefängnis zu gehen. Die Frau hatte die letztere Alternative gewählt, inzwischen bereits sieben Tage von ihrer Strafe abgebüßt und würde in der folgenden Woche entlassen.
Der Oberst erzählte, dass für gewöhnlich beide Zellen leer waren. Im letzten Frühjahr, als die neue Schnapsfabrik eröffnet worden war, war zwar die Männerzelle eine Zeit lang durchgehend besetzt gewesen, ansonsten war es jedoch sehr still, und manchmal wurde ihm die Zeit lang.
»Zum Glück habe ich das Saxofon, darauf spiele ich oft zum Zeitvertreib. Manche Gefangenen mögen die Musik und lauschen still.«
Die Schnapsbrennerei der Stiftung war einen Kilometer von Rajakylä entfernt am Ufer des von Sümpfen umgebenen Sees Rätsinlampi errichtet worden. Es war eine abgelegene und unbewohnte Gegend, sodass sie sich gut als Standort für das Objekt eignete. Destillieren von Alkohol war in Finnland auch im dritten Jahrtausend noch verboten – warum eigentlich? –, und so konnte selbst die Stiftung es nicht wagen, eine solche Anlage an einem öffentlich zugänglichen Ort zu betreiben. Jedenfalls lag die Schnapsherstellung in den Händen der verwitweten Bäuerin Tyyne Reinikainen aus Valtimo. Als Gehilfe stand ihr erwachsener Sohn Jalmari ihr zur Seite.
Eemeli und Taina trafen am Nachmittag ein, um die Brennerei zu inspizieren. Ein kleines Gebäude aus grauen Balken stand da am Ufer des schwarzen Sumpfsees. Am Giebel befand sich ein Anbau aus Brettern, eine geräumige Küche, in der zwei Kessel standen: ein größerer für sechzig und ein kleinerer für zwanzig Liter.
Als Rohstoff wurde überschüssiges Getreide verwendet, hauptsächlich der Roggen, der auf den Schwendackern wuchs. In dem größeren Kessel wurde Wodka destilliert, in dem kleineren mit einer Würzbeimischung Kräuterschnaps hergestellt. Letzterer war mittlerweile ein regelrechter Exportschlager der Stiftung, sogar in Turku und Helsinki gab es Abnehmer. Tausende von Litern wurden jährlich produziert.
Die Inspektion der Schnapsfabrik war eine vergnügliche Angelegenheit. Die Toropainens kosteten den ganzen Abend lang die Produkte und verglichen gründlich die Qualität. Sie besprachen außerdem mit ihrer Gastgeberin die Erweiterung der Fabrik um einen dritten Kessel. Darin sollte Pomeranzenschnaps oder vielleicht Kümmelwodka hergestellt werden. Es war einen Versuch wert.
Der Sohn der Brennmeisterin heizte die Sauna, während Taina Toropainen im See badete. Die Unterhaltung an diesem lauen Sommerabend drehte sich auch um die Angelegenheiten des Nachbardorfes Rajakylä. Tyyne Reinikainen erkundigte sich, ob der Mörder und die Hure noch im Gefängnis saßen. Sie wusste zu berichten, dass diese Frau zeitweilig auch die Geliebte des Oberst gewesen war, damals, als er noch als Hirte die Bullenherde betreute. Der uniformierte Mann mit dem Saxofon hatte die Frau offensichtlich beeindruckt. Später hatte sie dann vom Blues genug gehabt, sie hatte den Oberst verlassen und einen Jüngeren geheiratet.
»Es wird sie fuchsen, dass sie in dem Knast eingesperrt ist, den ihr Verflossener bewacht«, meinte die Schnapsbrennerin Tyyne Reinikainen.
Beflügelt von gründlicher Qualitätskontrolle, fuhren Eemeli und Taina in vollem Galopp nach Rajakylä zurück. Arm in Arm saßen sie auf dem Wagen und sangen fröhliche Trinklieder. Eemeli hatte die Zügel übernommen. Der Weg staubte unter den Rädern.
Es war ein herrliches Gefühl, über die dämmrige Dorfstraße rasen zu können, ohne sich wegen Trunkenheit am Steuer Gedanken machen zu müssen. Schließlich war das Pferd stocknüchtern.
Aus Richtung des Gefängnisses waren melancholische Saxofonklänge zu hören. Der Oberst saß auf den Stufen vor der Frauenzelle und spielte Blues für seine ehemalige Geliebte. Die Tür hielt er dabei allerdings fest verschlossen. Eemeli und Taina übernachteten beim Gefängnisdirektor. Nach der Inspektion der Schnapsbrennerei hatten sie nicht mehr die Kraft,
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