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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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des Benehmens bedauerlich viele Amateure auftraten, Personen, die ohne Ausbildung in die feine Gesellschaft platzten und längst nicht die Gestik und Mimik be­ herrschten, die von kultivierten Menschen erwartet wurde.
    »Gutes Benehmen ist in gewisser Weise eine interdis­ ziplinäre Tätigkeit. Ich könnte Ihnen unzählige Beispiele für Situationen aufzählen, in denen Diplomfähigkeiten erforderlich sind, aber ich möchte Ihre kostbare Zeit nicht zu sehr beanspruchen«, plauderte die Benimmak­ trice.
    Ihrer Meinung nach beherrschte ein Profi dieser Dis­ ziplin souverän sein Inneres wie auch sein Äußeres, verfügte also über fundierte Kenntnisse in der Psycholo­ gie und in der Kosmetik.
    Eemeli Toropainen, der die ganze letzte Zeit in der Wildnis die Axt geschwungen hatte, war hin und weg. Obwohl er im Allgemeinen nach dem Motto handelte: erst die Arbeit, dann die Dummheiten, rückte er diesmal ein wenig von seinen Prinzipien ab. Auf dem Flughafen Kastrup lud er seine neue Bekanntschaft zu Lachsga­ lantine und Weißwein ein, und dann ging es mit einem Abendessen in Kopenhagen weiter. Es waren äußerst­ vergnügliche Stunden. Eemeli Toropainen wurde mit mancherlei Ratschlägen aus dem Bereich der Beneh­ menswissenschaft gefüttert. Soile-Helinä war eine be­ zaubernde Dame von Welt, und als Eemeli sie mit seiner Ex-Frau Henna oder mit Taina verglich, bekam er das Gefühl, er habe sein romantisches und erotisches Leben mit den völlig falschen Frauen verbracht.
    Eemeli blieb über Nacht in Kopenhagen. Soile-Helinä hatte geschäftlich in Dänemark zu tun, aber die Ge­ schäfte konnten warten. Dem Direktor der Kirchenstif­ tung opferte sie natürlich gern ihre Zeit. Eemeli war ihr
    gegenüber sehr offen, er erzählte freimütig von seinem Leben und seinen Vorhaben. Ein echter Gentleman hat vor einer Frau keine Geheimnisse.
    »Du hast so einen großzügigen Charme, wie ihn Män­ ner nur selten haben. Auf dem Gebiet des Benehmens bist du eindeutig ein pragmatischer Selfmademan, ein Naturtalent. Ich finde, Linuta hat Unrecht, wenn sie die finnischen Geschäftsmänner kritisiert. Es sind durch­ aus nicht alle nur ungehobelte Klötze. Wäre sie nur jetzt hier, dann würde sie garantiert staunen!«
    Allerlei dieser Art zwitscherte die Diplom-Benimm-aktrice. Ganz nebenbei bezeichnete sie Linuta als alten Kadaver, sie sei knöchern und faltig wie das Muli eines Muslimen und solle die Auftrittsarenen lieber fähigeren Leuten überlassen.
    Im Laufe des Abends und der Nacht klärte sich auch das Geheimnis von Soile-Helinäs jugendlichem Ausse­ hen. Sie war fünfzig, doch war es ihr dank gezielter Schönheitsoperationen gelungen, die unschönen Anzei­ chen des Alterns zu mildern. Wie sie sagte, hatte sie sich in den USA das Doppelkinn operieren und die Brust straffen lassen. Mit einer vulgären plastischen Chirurgie hatte sie sich nicht zufrieden gegeben, sondern sie war in eine Privatklinik gegangen, in der Gewebe- und Or­ gantransplantationen vorgenommen wurden.
    »Ich bin der Meinung, dass der Mensch gerade in sich selbst, in seinen eigenen Körper, investieren sollte. Am Ende ist das der einzige Besitz, der zusammen mit sei­ nem Geist ins Grab gelegt wird.«
    Eemeli Toropainen warf ein, dass seines Wissens der menschliche Körper nach dem Tod verwese und zu Staub werde so wie alles Lebende. Ein schöner Körper bilde da sicher keine Ausnahme.
    »In einem schönen Körper wohnt eine schöne Seele! In einem hässlichen natürlich eine hässlichere, das ist ja sonnenklar. Am Tod erschreckt mich vor allem der Gedanke, dass die Seele im Grab platt gedrückt werden könnte, wenn darüber zwei Meter hoch kalter Sand aufgeschichtet wird. Manchmal wünsche ich mir, dass schöne Menschen in flacheren Gräbern beerdigt werden, vielleicht nur einen Meter tief. Der Gedanke an die zer­ quetschte Seele macht mir furchtbare Angst«, erklärte Soile-Helinä tief seufzend.
    11
    Zwei Tage später lud Eemeli Toropainen zusammen mit dem dänischen Küster die Orgel der kleinen Kirche des Fischerdorfes Trustrup in einen Lieferwagen. Die Orgel war auseinander gebaut, die Pfeifen und die Spielme­ chanik in Holzkisten verpackt worden. Eemeli beabsich­ tigte, die Last in den Hafen zu fahren, wo sie auf ein Frachtschiff verladen würde; in Oulu sollte sie dann verzollt und anschließend nach Kainuu zum Ukonjärvi gefahren werden. An sich eine klare Regelung.
    Als Eemeli sich von Soile-Helinä verabschiedet hatte, hatte sie in

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