Nördlich des Weltuntergangs
Erdgas war seit Jahren nicht in die Rohre eingespeist worden, und Strom war zu teuer. An
den extremsten Frosttagen sank das Thermometer bis auf minus vierzig Grad. Da war von Treibhauseffekt keine Rede. In den Häusern von Ukonjärvi heizten die Leute ihre Öfen mit trockenen Birkenscheiten; bei dem ruhigen Frostwetter ragten die Rauchsäulen aus den Schornsteinen steil wie Kerzen in den erbarmungslosen Himmel. In den Balkenwänden der Kirche knackte der Frost. Die vereiste Glocke gongte zuweilen leicht, der metallisch dumpfe Klang wehte gespenstisch über die gefrorene Landschaft, doch in den Blockhäusern flacker ten warme Kaminfeuer. Manchmal war es so kalt, dass die Hunde die Nacht über hereingeholt wurden.
In einer dieser frostigen Nächte klopfte ein schwarz gekleideter Wanderer an die Tür des Pfarrhauses, nach dem er seine langen Waldskier an die Treppe gelehnt hatte. Es war die dunkelste Zeit des Winters und der Nacht, gegen die auch die silbernen Sterne nichts aus richten konnten.
Frau Taina Korolainen erhob sich in der Schlafkam mer von Eemelis Seite, zündete das Licht an, wickelte sich in ihren Morgenmantel und ließ den fremden Nachtwanderer ein. Der Ankömmling, ein alter Mann, trug einen Lodenumhang, darüber hing ein Kreuz. Seine Füße steckten in Lappenstiefeln mit gebogener Spitze, seine Pelzmütze war bis über die Ohren herunterge klappt, an den Händen hatte er Fäustlinge aus Hunde fell. Er war groß und hager. Seine Augenbrauen waren bereift und der Schnurrbart vereist. Sein Gesicht war blau vom Frost, und er zitterte am ganzen Körper.
Eemeli Toropainen kam in die Stube, er schürte das erloschene Kaminfeuer und legte trockene Birkenscheite nach, aus denen bald wärmende Flammen züngelten. Auch die schläfrige Dienstmagd erschien, sie setzte den Teekessel auf und ging dann wieder in ihre Kammer.
Der Gast eilte an den Kamin, um sich aufzuwärmen. Er hielt seine Hände ans Feuer und wischte sich den tauenden Reif vom Gesicht. Taina Korolainen legte ihm eine Decke um die Schultern. Eemeli holte aus der Schlafkammer eine Karaffe mit scharfem Kräuter schnaps und goss dem Nachtwanderer einen tüchtigen Schluck ein. Mit zitternden Händen griff der Alte nach dem Glas und kippte sich das feurige Getränk in die Kehle. Taina schenkte ihm Tee ein, den er ebenfalls gierig trank. Bald bekam er eine gesündere Gesichtsfar be, er hörte auf zu zittern und brachte die ersten Worte heraus:
»Friede diesem Haus.«
»Danke, Ihnen ebenfalls. Es ist arg frostig draußen.« »Das kann man wohl sagen.«
Nachdem er noch einen zweiten Schnaps hinunterge kippt hatte, erhob sich der Mann und gab seinen Gast gebern die Hand. Er sagte, er nehme an, dass er im Pfarrhaus von Ukonjärvi sei.
»Ich bin Julius Ryteikköinen, der Bischof von Kuopio«, stellte er sich vor.
»Wie lange waren Sie denn bei diesem Wetter unter wegs?«, erkundigte sich Eemeli Toropainen.
Der Bischof erzählte, dass er mit dem Zug von Kuopio nach Kontionmäki gereist war. Der Zug hatte Verspä tung gehabt und war erst nachmittags auf dem Kreu zungsbahnhof angekommen. Bei solchen Frösten froren
auch die Dampfloks ein, Elektroloks fuhren ja über haupt nicht mehr. In seiner Begleitung hatte sich der Rechtsgelehrte Assessor Henriksson vom Domkapitel befunden. Sie hatten sich gegen Abend gemeinsam auf Skiern nach Ukonjärvi aufgemacht. Der Assessor wäre unterwegs beinah erfroren und hatte auf halber Strecke in einem Haus einkehren müssen, um dort zu über nachten. Aber der Bischof selbst war im Gottvertrauen weitergelaufen, war stundenlang unterwegs gewesen, hatte ein paarmal, zuletzt in Kalmonmäki, nach dem Weg gefragt und war nun endlich am Ziel angekommen.
»In Ihrem Alter sollte man nicht mehr so lange Stre cken auf Skiern zurücklegen«, sagte Taina Korolainen tadelnd.
»Was soll man machen? Die Straßen werden höchs tens noch nach den schlimmsten Schneestürmen ge räumt, mit dem PKW kommt man nicht durch. Außer dem bezahlt das Bistum schon lange keine Kilometer pauschale mehr, nicht einmal dem Bischof, und Benzin ist selbst auf dem Schwarzmarkt nicht mehr zu ha-ben…, da muss man sich ja selbst auf den Weg bege ben.«
»So sind auch die Apostel seinerzeit gewandert«, bes tätigte Eemeli Toropainen.
»Aber wohl nicht auf Skiern, das habe ich jedenfalls noch nie gehört«, meinte Taina Korolainen verwundert.
Die beiden Männer waren sich einig, dass die Apostel vermutlich Ski
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