Nördlich des Weltuntergangs
Auswanderin Eveliina Mättö. Sie war insofern eine verwandte Seele des früheren Hirten Arkadi Lebedew, als auch sie Musik liebte und genau wie er vorzugsweise amerikanische. Hatte der Oberst dem Vieh melancholi schen Blues vorgespielt, sang Eveliina Mättö New Yorker Gospels. Die Tiere lauschten auch dieser Musik ernst. Da sie schon Bekanntschaft mit dem Blues gemacht hatten, klang ihnen der Gospelsound irgendwie vertraut.
Der alte Bär vom Tuohenjoki hingegen war kein Freund von Musik, eigentlich auch von nichts anderem. Übel gelaunt horchte er auf den krächzenden Gesang der alten Frau. Allerdings witterte seine Nase überaus leckeres Fleisch. Er schlich näher, um sich die Herde anzusehen.
Etwa hundert Tiere liefen auf der Weide herum, große Stiere, aber auch Kühe und Kälber. Der Bär plante, sich eines der Kälber vom Rande der Weide zu greifen, aber das singende alte Weib beunruhigte ihn. Um die alte Frau musste er sich zuerst kümmern, erst dann konnte er nach einem Kalb jagen. Einmal zupacken, und knacks, die Sache wäre erledigt, beschloss der Bär.
Kurz darauf fand im Wald am Tuohenlampi ein erbarmungsloser Kampf statt. Der Bär stürzte sich von hinten auf die alte Frau, die auf einem Baumstumpf saß, und wollte sie mit einem einzigen Schlag töten. Die Alte spürte jedoch die Gefahr, sie drehte sich um, schrie auf und wich zur Seite aus. Der Bär rannte vorbei, kehrte aber sofort wieder um.
Jetzt hatte die Alte einen Dolch in der Hand. Der Bär attackierte und schüttelte die kleine Frau, die sich jedoch widersetzte. Die Schneide des Dolches ritzte dem Bären die Brust und den Hals auf, traf sogar sein Maul. Das wütende Tier schleuderte die Widersacherin auf den Boden. Es hallte und dröhnte, als der Bär die alte Frau malträtierte, während sie laut um Hilfe rief. Es war ein ungleicher Kampf: Der Bär siegte, und die arme Alte, die so zäh gewesen war, unterlag und gab ihren Geist auf. Das grausame Schauspiel im Wald am Tuohenlampi war zu Ende.
Im Dorf erfuhren die Leute bald von dem Drama, denn die wild gewordenen Tiere rannten mit erhobenen Schwänzen und kotbespritzten Flanken in ihre Ställe. Als aus dem Wald die schwächer werdenden Hilferufe des alten Hirtenmütterchens und das Brüllen des Bären zu hören gewesen waren, war bereits die Partisanen kompanie alarmiert worden. Ihr Chef Naukkarinen schickte eine Streife an den Tuohenlampi, doch diese konnte nur noch das Geschehene zur Kenntnis nehmen; die alte Frau lag zerquetscht und übel zugerichtet unter einer Fichte. Sofort war klar, dass ein Bär das Unglück verursacht hatte.
Die ganze Partisanenkompanie rüstete sich zur Bä renjagd. Auch an Zivilisten wurden Gewehre ausgeteilt. Am eifrigsten war natürlich John Matto, der einzige Sohn der Verunglückten, bei der Sache. Die Hunde wurden auf die Spur des Bären gehetzt. Feldpröbstin Tuirevi Hillikainen segnete die Waffen und bat den Allmächtigen, den Jägern Erfolg zu bescheren. Denn im sommerlichen Ödwald einen Bären zu jagen ist eine schier unmögliche Aufgabe. Immer wieder kehrte die hundertköpfige Jägerschar müde und ohne die erhoffte Beute zurück.
Eveliina Mättö wurde auf dem Friedhof von Ukonjärvi beigesetzt und zur ersten Heldentoten des Dorfes er klärt. Auf ihren Grabhügel wurde ein quadratischer Feldstein gesetzt, in den der Somalischmied eine Kup ferplatte genietet hatte. Sie enthielt die Inschrift: Pro Ukonjärvi. Gefallen für das Vaterland.
Die Männer legten für den Bären hinter dem Hiiden vaara Kadaver aus. Tagtäglich streiften sie durch die Wälder. Nicht einmal Mittsommer mochten sie recht feiern; in aller Eile brannten sie am Abend ein Lagerfeu er ab, aber gleich am nächsten Morgen setzten sie die Jagd auf den Bären fort.
In der Woche nach Mittsommer führte die hartnäckige Jagd endlich zum Erfolg. Der Mörder des Ödwaldes fand am Rumavaara, etwa drei Kilometer nördlich des Hiiden-järvi-Sees, sein Ende. Ausgerechnet John Matto, der Sohn der Toten, feuerte den tödlichen Schuss in die Brust des angreifenden Tieres ab.
Die Jäger trugen den Bären auf Stangen ins Dorf. Eemeli Toropainen beschloss, ein anständiges Jagdfest auszurichten. Diese Beute musste zünftiger als andere gefeiert werden, schon allein Eveliina Mättö zu Ehren. Er schickte an die Schnapsbrennerei eine üppige Bestel lung.
Seppo Sorjonen hatte sich seinerzeit mit der finni schen Mythologie beschäftigt und schlug vor, das Jagd fest nach Art der
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