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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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auf den Frank­ lin D. Roosevelt Drive verlegt werden musste. Als dann später auch der verstopft war, hatte man ganz auf diese Tradition verzichtet.
    Der Autoverkehr wurde schließlich unmöglich. John blieb eines Nachts mit seinem Taxi an der Brooklyn Bridge stecken; er hatte versucht, den Wagen von Man­ hattan über die Park Row auf die Brücke zu retten, aber die Karre versank bis zu den Fenstern im Morast. Da musste er sie dann wohl oder übel aufgeben.
    »Aus Bosheit ließ ich den Motor laufen. Die Straßen waren voll von verlassenen Autos. Manch einer hatte versucht, sein Auto auszugraben, aber es war hoff­ nungslos. Wenn das Auto auch nur für eine Nacht im Morast stecken blieb, brauchte man am nächsten Tag gar nicht erst den Versuch zu machen, es herauszuho­ len, es war zerstört und von anderen Autos eingekreist. Nagelneue Limousinen versanken zu Tausenden im Dreck. Die Passanten liefen über die glatten Autodächer. Wegen des Morasts mussten sich die Leute Gummistie­ fel kaufen. Die wurden regelrecht gehamstert, und bald kostete ein Paar von Nokia auf dem Schwarzmarkt hundert Dollar.«
    Als der Verfall erst weit genug fortgeschritten war, war er durch nichts mehr zu stoppen. Die Verteilung von Gas und Strom brach ab, die Wasserleitungen waren verstopft, die Abflüsse nahmen schon lange nichts mehr
    auf. In einigen Wolkenkratzern wohnten die Angestellten inzwischen in ihren Büros, da das Verkehrssystem lahm gelegt war; der schlimmste Schlag war, dass die U-Bahn-Linien geschlossen werden mussten. Zahlreiche Züge blieben in den Tunneln stecken, die Leute stiegen aus und irrten unter der Erde herum, manche fanden nie wieder heraus.
    Im vergangenen Jahr wurden auch die letzten der rie­ sigen Wolkenkratzer geräumt: die UNO, General Motors, Lincoln Center, Rockefeller Center.
    Das Schlimmste war, dass sich viele gefährliche Krankheiten in der Stadt ausbreiteten. An den heißen Sommertagen wimmelte es auf den Müllbergen und in den Schlammpfützen von Bakterien, unerträglicher Gestank setzte den Menschen zu. Die Ratten und au­ genlose Alligatorenbrut, die sich in der Kanalisation eingenistet hatten, feierten Freudenfeste. Im Winter vernichteten der erbarmungslose Frost und der eisige Wind, der durch die öden Straßenschluchten der ster­ benden Stadt fegte, den letzten Rest dessen, was die Menschen einmal aufgebaut hatten. Die berühmten Theater am Broadway schlossen ihre Türen, die Schau­ spieler tanzten höchstens noch im Fieberwahn, die Türsteher fegten Dreck und röchelten Legionellenbakte­ rien. Fleckfieber wütete, die Frauen gebaren vor der Zeit, und falls die Babys lebend zur Welt kamen, starben sie bald, aufgedunsen von der Pest.
    Die Zensur verbot der Presse und den Rundfunk- und Fernsehanstalten, der Welt die schreckliche Wahrheit zu berichten. Insofern es überhaupt noch jemanden gab, der berichtete. Die Studios waren ausgebrannt, die Reklamelichter erloschen, Kojoten liefen den Broadway rauf und runter und rissen die wenigen Menschen, die noch unterwegs waren.
    Verwilderte Räuberbanden leerten die letzten Le­ bensmittellager und Warenhäuser, fackelten ein Stadt­ viertel nach dem anderen ab, töteten Menschen, bis sie selbst von Krankheiten dahingerafft wurden oder im Morast versanken.
    Feuerwehr und Polizei waren machtlos. Die besten Männer der Nationalgarde wurden ausgesandt, die ertrinkende Stadt zu retten. Ausgerüstet mit Räumpan­ zern, Baggern, Flammenwerfern und Riesenpumpen, sollten tausende Kämpfer in Overalls Manhattan zu Leibe rücken. Doch König Morast war ein erbarmungs­ loser Feind: Er zog sich nicht mehr zurück, sondern ließ die Arbeitsmaschinen absaufen, betäubte die Gardisten, verbreitete Krankheiten und verursachte blinde Panik. Wenn es den Soldaten gelang, irgendwo ein Viertel zu erobern, brach in einem anderen ein wütendes Feuer aus, und die giftigen Gase, die ihm entströmten, zwan­ gen die Männer, sich zurückzuziehen. Auf dem Schlachtfeld blieben die robusten Panzer, die Bagger, die Pumpen zurück. Ein Stadtviertel nach dem anderen musste endgültig aufgegeben werden. Zahlreiche Men­ schen waren in der untergehenden Stadt eingeschlos­ sen. Sie kletterten auf die Dächer der letzten übrig gebliebenen Wolkenkratzer, von wo man sie mit Helikop­ tern zu retten versuchte.
    In den Konferenzräumen der obersten Etage des RCA Center hatten sich sechshundert Werbestrategen zu einem Abschlussgespräch zusammengefunden. Die begabtesten Karriereplaner der

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