Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
wie ein Türke
Manche Völker wissen noch, wie man richtig zetert
Wer wie ich die gesellschaftlichen Trends der letzten Jahre verfolgt hat, dem ist folgende faszinierende Entwicklung nicht entgangen: Seit einigen Jahrzehnten lebt in Deutschland eine wachsende Gemeinde türkischer Einwanderer.
Doch doch, das stimmt. Aber was, frage ich mich und Sie sich vielleicht auch, was hält die Türken ausgerechnet hier in Deutschland? Ist es in der Türkei nicht viel sonniger? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: Seelenverwandtschaft. Weil eines die Türken mit den Deutschen aufs Engste verbindet: ihre Liebe zum Nörgeln. Ja, manch ein Nörgelforscher behauptet sogar, die Türken lamentierten noch mehr als die Deutschen.
»Auf jeden Fall meckern die Türken mehr«, bestätigte ein Stand-Up-Komiker und scharfsinniger Beobachter in Sachen Türknörgeln, der anonym bleiben wollte und den ich Erkan S. nennen möchte. »Das fängt schon morgens mit diesen Jammerfrauensendungen im türkischen Fernsehen an: ›Mein Mann ist gestorben, meine Tochter ist weggerannt, mir geht’s so schlecht.‹ Es gibt keine lustigen Sendungen. In der Türkei musst du nur die Straße runterlaufen und ein bisschen rumgucken, schon schimpft einer: ›Arschloch, was guckst du meine Frau an?‹ Ich war mal mit einem Kumpel in der Türkei am Meer. Die Sonne ging gerade unter, es war fabelhaft. Wir schauten auf das Wasser, das Sonnenlicht spiegelte sich darin, und ich sagte, ›schau mal, wie schön das ist‹. Er guckte mich nur an und entgegnete: ›Bist du schwul geworden?‹«
»Aber hallo«, kommentierte Arzu Toker, Autorin und Expertin in Sachen Lamento, charmant. »Die Türken sind doch keine Nörgler. Die Türken sind Jammerlappen. Das ist ein himmelweiter Unterschied. Wer nörgelt, will was ändern, er wird aktiv, irgendwann unternimmt er was. Wer jammert, erwartet von jemand anderem, dass er was unternimmt.«
Mit »jemand anderem« meinte Toker vor allem einen: Gott.
»Die Türken überlassen alles Gott. ›Das Dach ist kaputt – inschallah ! Gott soll es fügen!‹ Alles hat Gott gemacht. Wenn etwas Gutes passiert, heißt es maschallah – wie Gott will. Wenn etwas schiefgeht, heißt es inschallah – so Gott will.«
Diese gottergebene Jammerhaltung illustriert ein Witz, den die Türken selbst gern erzählen: Gott hält Mittagsschlaf und die Engel wecken ihn auf mit der verstörenden Nachricht: »Auf der Erde ist Krieg!« Gott ist unbeeindruckt: »Na und?«, sagt er, »ich mache Mittagsschlaf.« Nach einer Weile wecken die Engel ihn wieder und sagen: »Er weitet sich aus, jetzt mischen schon die Amerikaner mit!« »Na und?«, sagt Gott, »lasst mich schlafen!« Dann kommen die Chinesen dazu und alle anderen Völker auch und es wächst sich zu einer Riesenkatastrophe aus, aber immer, wenn die Engel ihn wecken, will Gott weiterschlafen. Endlich sagen sie: »Gott, jetzt sind die Türken auch noch dabei!« Plötzlich ist er hellwach: »Holt mir mein Schwert!« Die Engel sind erstaunt und fragen: »Warum wirst du ausgerechnet bei den Türken aktiv?« Da seufzt Gott: »Na, bei den Türken muss ich immer alles selbst machen.«
Toker, bekannt für ihre Vorträge über Integration und Islam, sieht den Ursprung für diese spezielle Nörgel-Tradition nicht in der türkischen Kultur. »Im Grunde sind die Türken ähnlich wie die Deutschen«, meinte sie. »Beide Völker haben eine Identitätsstörung. Die Deutschen suchen ihre Identität seit dem Zweiten Weltkrieg, und die Türken haben ihre Identität von den Arabern übernommen. Deswegen delegieren sie alles an Gott und machen ihn für alles verantwortlich, wie die Araber das tun.«
Auch im Schimpfen sind die beiden Völker einander ähnlicher, als sie glauben. Beide lieben Tiere, beide lieben Sex und diese Leidenschaften schlagen sich in der türkischen Schimpftradition nieder. Wer ein uskumru auf der Speisekarte sieht, kann eine »Makrele« bestellen, wer es aber ins Gesicht gesagt bekommt, wird gerade als »Gigolo« beschimpft. Und nallı fatma bedeutet Frau mit Hufen. Falls immer noch nicht klar ist, was gemeint ist, dann kann man es auch so ausdrücken: Esel, den man zum sexuellen Lustgewinn genötigt hat.
Überhaupt, Esel sowie deren Nachwuchs sind sehr begehrt. » Scholischek wird gern mal so in die Konversation geschmissen«, sagte der türkische Singer/Songwriter mit dem Künstlernamen Al Page, als ich ihn in dem kleinen Café Ess Eins in Schöneberg auf ein Sandwich und mehrere
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