Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
sich lange darüber zu ärgern. Eine neue Tastatur können wir jederzeit kaufen. Das ist besser, als eine Woche lang den Ärger mit sich herumzutragen.‹«
»Was ist so schlimm daran?«, fragte ich. »Wir tragen die Liebe möglichst lange mit uns herum, Glück auch, und sogar Briefe ans Finanzamt, die wir längst hätten abschicken müssen.«
»Weil wir einen Preis dafür zahlen«, behauptete sie. »Wir werden krank. Wir werden depressiv. Wir haben keine Lust auf die Arbeit. Wenn es abends zu Hause am Abendbrottisch nur ein Thema gibt, was wieder alles Blödes auf der Arbeit passiert ist, dann vergiften wir auch da die Luft. Alles wird deprimierend und negativ, die Beziehung geht kaputt, selbst die Kinder werden zu Nörglern erzogen.«
Ich muss sagen, sie entwarf ein so düsteres Bild, dass mir das schon wieder gefiel.
Sie behauptete, durch ein Schlüsselerlebnis ins Anti-Ärger-Business gerutscht zu sein, ein bisschen wie Paulus zum Christentum, aber ohne Römer und die coole Stimme vom Himmel und so:
»Es war nach einem unglaublich anstrengenden Tag«, erinnerte sie sich. »Man hatte in mein Auto eingebrochen. Ich komme also mitten in der Nacht mit eingeschlagener Scheibe nach Hause gefahren, und in der Tiefgarage wartet mein Nachbar. Er schreit mich an: Ich parke zu nah an der weißen Linie, das macht es für ihn schwer, ein- und auszusteigen. Meine normale Reaktion wäre ein Wutausbruch gewesen. Meine Kreditkarten waren weg! Ich hatte sehr früh am nächsten Morgen Termine in München, und er macht mich wegen so etwas an. Aber ich sagte nur, es täte mir leid. Ich erklärte, warum ich das tue: Weil ich zu faul bin, noch mal rauszufahren und gerade zu parken. Es täte mir leid, dass es ihn ärgert, und ich wünschte ihm noch einen schönen Abend. Es war ganz merkwürdig. Ich war so ruhig geblieben. Ich grübelte die ganze Woche darüber nach und endlich wurde mir klar: Ich bin es, der entscheidet, worüber ich mich ärgere. Ich begann, im Büro die Leute bei der Arbeit zu beobachten. Die einen machten sich ganz ruhig und besonnen ans Werk; die anderen stänkerten den ganzen Tag über alles und jeden herum, und mit ihrer Meckerei steckten sie auch die anderen an. Eines Tages rief ich meine Belegschaft zusammen und sagte ihnen: ›Ab jetzt ist sich ärgern verboten.‹ Ich untersagte ihnen, über Kunden zu meckern, über die Krankenschwester ihrer Mutter, über diese Dinge. Was nichts mit der Arbeit zu tun hat, darüber wird nicht gemeckert, und wenn es um die Arbeit geht, will ich nur Vorschläge hören, die die Situation verbessern.«
In den folgenden Monaten las sich Ramona Wonneberger in die infame Anti-Ärger-Literatur ein und hielt im Büro heimlich Anti-Ärger-Seminare ab. Das führte laut Wonneberger zu einer so fühlbar besseren Stimmung im Büro, dass sie anfing, ihre Seminare anderen Firmen anzubieten, und bald interessierte sich auch die Presse dafür. Kurze Zeit später gründete sie ihr Institut.
»Zu fünfundneunzig Prozent fühlen wir uns als Opfer«, sagte sie. »Wir werden zu Opfern gemacht vom Ehepartner, von der Politik, vom Chef, von den Mitarbeitern oder Konkurrenten, von den Umständen, von den Eltern oder der Erziehung. Und wir reden und denken ständig darüber nach. Das nenne ich ›Opferlaberei‹.«
Ich wollte gerade ihre opferverhöhnende Wortwahl kritisieren, befürchtete jedoch, sie würde mich dann als Opferlaberer hinstellen, und den Gefallen mochte ich ihr nicht tun.
»Es gibt immer nur einen einzigen Grund für Ärger: Es gibt etwas im Leben, das ich gern anders hätte. Das kann das Wetter im Urlaub, das kann der Chef sein. Aber immer gibt es nur eine sinnvolle Frage: Kann ich das ändern oder nicht? Wenn nicht, dann ist jede Minute ärgern verschwendete Lebenszeit. Anstatt sich über den Chef zu ärgern, kann man die Energie nutzen, nach einem neuen Job zu suchen. Wenn ich nichts tue und den ganzen Tag mit diesen Gedanken im Kopf herumgehe, kann ich nicht kreativ sein, nichts erreichen. Alles ist besetzt.«
»Einen kleinen Groll hegen ist durchaus eine sinnvolle intellektuelle Tätigkeit«, argumentierte ich. »Es hält das Hirn wach und schützt vor Langeweile.«
»Eine Frau hat sich fünf Jahre lang geärgert, dass die Nachbarn die Treppe nicht putzen. Fünf Jahre lang! Dabei gab es Alternativen. Sie hätte eine Firma beauftragen können, die das macht, und von den Nachbarn den entsprechenden Betrag verlangen können. Man kann es selber in die Hand nehmen. Selbst die
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