Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
lächerlich verhält.«
»Sie sind ja grausam«, sagte ich. »Wie verächtlich müssen Sie sein, wenn Sie die berechtigte Kritik der Menschen nicht ernst nehmen?«
Geduldig erklärte mir Eleonore Höfner, dass die Provokative Therapie auf der Idee basiert, man könne den Klienten aus seinem geistigen Teufelskreis holen, indem man ihn dazu bringt, sein Problem aus einer anderen Perspektive zu sehen. Zu diesem Zweck provoziert man ihn so lange, bis seine eigene fixe Idee ad absurdum geführt wird und er darüber lachen kann. Dadurch gewinnt er Abstand und kann sie verwerfen.
»Manch einer blockt allerdings von vornherein ab und gibt zu: ›Ich habe ein Problem, aber ich will mich in meinem Alter nicht mehr ändern‹«, erzählte sie weiter. »Ich gebe ihm recht. Ich gebe ihm mehr recht, als ihm lieb ist. Ich sage: ›Es gibt Menschen, die können sich ändern, aber dann gibt es Leute wie Sie. Sie sind zu alt, zu dick, zu blond, zu blöd, vergessen Sie’s ganz einfach, Sie werden sich nie ändern.‹ Das weckt Widerstand. Ein Zeichen von Reife ist ja, dass man neue Dinge ausprobiert, ohne Erfolgsgarantie. Aber der Klient steckt fest und sieht nur die eine Möglichkeit, und die findet er fürchterlich. Ich zeige ihm, dass seine Ängste total übertrieben sind. Sobald er über das lachen kann, was bisher eine fixe Idee war, wird er frei für neue Denk- und Verhaltensmöglichkeiten.«
»Und genau da liegen Sie falsch, Frau Höfner«, sagte ich fest. »Nörgelei ist keine ›fixe Idee‹, sondern eine intellektuell höchst anspruchsvolle Bemühung, die Welt, in der wir leben, ein klein wenig besser zu machen. Einige von uns sind mit der Gabe gesegnet, Missstände erkennen zu können. Wenn wir unsere Beobachtungen nicht publik machen, wird aus dieser Welt nie etwas werden. Das ist nicht zum Lachen.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Ich schien sie zum Nachdenken gebracht zu haben, denn plötzlich sagte sie: »Sie haben völlig recht mit Ihrer Überzeugung, dass die anderen ihr Verhalten schon ändern werden, wenn ich nur lange genug an ihnen herumnörgle.« Dabei lachte sie leise, als hätte sie einen guten Witz gemacht. Manche Arten von Humor verstehe ich nicht.
»Es dauert vielleicht eine Weile«, sagte ich tapfer, »doch irgendwann ist man schon erfolgreich.«
»Sie sollten niemals aufhören zu nörgeln«, pflichtete sie mir bei, »Sie könnten ja kurz vor dem Ziel sein!«
»Ja, genau das denke ich!«
»Sie sind ein Held«, sie suchte nach Worten, »oder ein Märtyrer, denn die Welt kann nur durch Nörgler wie Sie gerettet werden!«, fuhr Frau Höfner zunehmend begeistert fort. »Stellen Sie sich vor, was für ein wunderbarer, ehrlicher und besserer Platz die Erde wäre, wenn alle Menschen so dächten wie Sie. Jedermann sagt jedem sofort unverblümt, wo ihm etwas nicht passt. Da die Leute meistens nicht zuhören, muss man das möglichst laut und in nöligem Tonfall machen, damit es wirklich ankommt. Natürlich wird das Leben dadurch sehr freudlos und auch ziemlich anstrengend, und die Freunde und Partner laufen einem reihenweise weg, aber das ist eben der Preis für wahre moralische Sauberkeit!«
Frechheit! Natürlich lag sie damit total daneben! Schlagartig wurde mir klar: Diese Frau ist zwar eindeutig eine unverbesserliche Anti-Nörglerin, doch gleichzeitig beherrscht sie alle Regeln der Nörgelei, und diese setzt sie mit einem starken Schuss Ironie ein, um ihre Klienten klein zu machen. Ich war hin und her gerissen zwischen Ehrfurcht – und einfach nur Furcht.
In ihrem Eifer, gutgläubige Kunden einzuwickeln, greift die zeitgenössische Anti-Nörgel-Industrie zuweilen zu ganz neuen, verwerflichen Methoden. Oder wie sonst soll man den Versuch beschreiben, das hoch entwickelte menschliche Nörgeln mit animalischem Verhalten gleichzusetzen?
Amy Sutherland ist Journalistin in Maine. Vor ein paar Jahren ließ sie sich zur Tiertrainerin ausbilden und schrieb ein Buch darüber, wie man als Mensch mit Seelöwen, Pumas und Kamelen umspringt. Dabei sind ihr – wer hätte das gedacht? – einige Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier aufgefallen. Daraufhin schrieb sie ein zweites Buch: Die Männerbändigerin: Wie ich meinem Mann das Zuhören beibrachte und andere Kunststücke , in dem sie darstellt, wie man den Partner ähnlich wie ein Tier trainieren kann.
Na, sind Sie jetzt genauso empört wie ich?
Während Sie und ich und jeder normale Mensch das eigene Verhalten und das des Partners als
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