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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Bett nieder. Warum musste sie alles ausdiskutieren? Er hatte jetzt keine Nerven für ihre wohltätigen Schnüffeleien.
    Sie atmete tief ein und aus. «Ist es wegen Simone?»
    «Oh Gott,
nein
! Was ist denn das überhaupt für eine Frage?»
    «Beruhig dich.»
    «Ich bin ruhig! Ich weiß gar nicht, was du von mir willst.»
    «Du hast Geburtstag.»
    Er runzelte die Stirn – dass das keine Erklärung war, um halb sechs Uhr morgens mit ihm ein psychologisches Gespräch anzufangen, musste ihr doch selbst auffallen.
    Sie presste die Lippen aufeinander. «Du bist nicht sauer, dass sie da ist heute, oder?»
    «Nein.»
    «Siehst du – aber du sagst es in diesem
Ton

    Er vergrub das Gesicht in den Händen. «Kat, ich will einfach nur schlafen.»
    «Es war nicht so geplant. Wir hatten gestern einen so schönen Tag zusammen, und dann hat sie angeboten, den Kuchen zu backen. Ich weiß nicht, irgendwie … verstehst du, wenn man sich einmal so nahestand wie wir, dann …»
    «Schön für euch. Ist doch toll! Ich möchte es nur jetzt nicht hören, bitte.»
    «Ich versuch nur –»
    «Du musst dich nicht rechtfertigen. Komm wieder mit Simone zusammen, wenn du willst. Fünf Jahre hast du es ja schon mal mit ihr ausgehalten.» Ihm wurde bewusst, dass die Tür offen stand und dass Simone bestimmt im Wohnzimmer lauschte, während sie den Tisch abwischte oder die Sofakissen ausschüttelte oder sich sonst wie nützlich zu machen versuchte.
    «Blödmann», sagte Katjuscha.
    «Tut mir leid. Gute Nacht.»
    Eine kurze Stille trat ein. Dann sagte sie tonlos: «Nein, tut mir leid. Du kannst es nicht verstehen, weil du die Erfahrung nie gemacht hast. Ich kann’s dir nicht übelnehmen.»
    Genau. Degradiere mich wieder zum psychisch geschädigten Kind, dachte er. Plötzlich fiel ihm ein, wie er sich mit vierzehn oder fünfzehn gefühlt hatte, als er allmählich stärker wurde als Katjuscha. Die Veränderungen seines Körpers, die Kraft, die sich in seinen Muskeln zusammenballte, hatten ihn ebenso fasziniert wie verunsichert, weil er zumindest in dieser einen Hinsicht die Rolle des Schützlings gegen die des Beschützers mit ihr tauschte. Wie unmöglich es ihr gewesen war, ein Glas Essiggurken zu öffnen, und wie leicht es ihm gefallen war, den Verschluss für sie aufzudrehen. Ein kurzes Anspannen. Und das
Klack
des aufspringenden Deckels war ein freudiges Auflachen gewesen. Ein männliches Auflachen.
    Er musste schmunzeln. Katjuscha sah ihn beinahe mit Empörung an. Dass er lächelte, brachte sie mehr aus dem Konzept als jede andere Reaktion.
    Sie stand ohne ein Wort auf und ging aus seinem Zimmer. Was für eine Stille sie zurückließ! Das Schlimmste an einem Streit war immer die Stille, die darauf folgte.
    Er legte sich hin, schloss die Augen.
    Stille, dagegen kann man eigentlich gar nichts tun. Am Ende von allem ist immer Stille. Die Stille siegt zuletzt.
    Aber das Glas hatte sich bewegt, und in der Stille seiner verschütteten Erinnerungen hatten ein paar italienische Worte geschlafen.

[zur Inhaltsübersicht]
10 .
    E r blieb bis zum späten Nachmittag im Bett. Selbst als Katjuscha an die Tür klopfte und ihn fragte, ob er etwas essen wolle, rührte er sich nicht; und erst eine halbe Stunde, nachdem er hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, gestand er sich ein, dass er dringend aufs Klo musste und vor Durst schon Kopfweh hatte.
    Das Badezimmer war warm und voller Wasserdampf. Offenbar hatten beide geduscht, bevor sie zu weiß Gott welchem kulturellen Vergnügen davongeflattert waren. Er pinkelte und betätigte die Spülung mit dem Fuß, wie Katjuscha es ihm verboten hatte. Dann ging er in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.
    Der Kuchen stand noch auf dem Tisch, und obwohl eine innere Stimme den Wusch äußerte, ihn aus dem Fenster zu werfen, und eine andere, wesentlich leisere sich fragte, ob er ihn nicht probieren sollte, ignorierte er sein Geburtstagsgeschenk und nahm sich nur ein Glas Wasser und einen Toast mit Käse. Er kehrte in sein Zimmer zurück und setzte sich wieder in seine inoffizielle Wäscheecke zwischen Bett und Schrank. Ihm fiel auf, dass er vergessen hatte, eine Käsescheibe auf den Toast zu legen, aber das Essen tat ihm trotzdem gut, und der Kopfschmerz wurde milder, nachdem er getrunken hatte.
    Es war Sonntag, und morgen war Montag, und wenn er es sich recht überlegte, war es völlig egal, ob er in Pegelowas Laden erschien oder sich nie wieder blicken ließ. Wenn er nicht hinging, verlor er

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