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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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kennengelernt hatte. Mit viel mehr Sommersprossen.
    Schließlich senkte sie die Augenbrauen. «Ich hasse es, wenn man unangemeldet auftaucht.»
    «Kann ich reinkommen?»
    Sie musterte ihn. «Du siehst schlimm aus.»
    Er fuhr sich durch die Haare, die am Ansatz noch feucht vor Schweiß waren. «Habt ihr weitergespielt vorgestern?»
    Julia schüttelte den Kopf, aber etwas in ihren Augen widersprach ihr. «Das Glas hat sich nicht mehr bewegt.»
    «Lässt du mich rein?»
    Sie legte den Kopf zurück und seufzte tief. Und da wusste er es,
sah es ihren Lippen an
, bevor sie es aussprechen musste: Ihr Mund hatte einem anderen gehört, vermutlich Philip. River war ein zu großer Nerd, um sie rumzukriegen. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass Philip sie noch zum Lachen gebracht hatte, dass ihr Mund für diese fast vulgären Lachlaute aufgeplatzt war; bestimmt hatte sie die Lippen gleich wieder geschlossen, als müsste sie ihre Zähne, die Perlen ihres Muschelmundes, verbergen; aber Philips witzige und schmeichelnde Worte hatten sie wieder zum Vorschein gebracht, und ihr Lächeln war nur die erste körperliche Reaktion gewesen, die er ihr entlockt hatte.
    «Ich hab nur was bei dir vergessen», murmelte er.
    «Was denn?»
    Er schob die Tür weiter auf. Sie ließ zu, dass er eintrat, und wich nicht zur Seite, sodass sie sich dicht gegenüberstanden. Er beugte sich hinab, spürte ihr Ohrläppchen an seiner Nasenspitze und küsste ihren Hals.
     
    Sie roch, wie er vermutet hatte. Unter Rauch, Körperlotion und Parfum verbarg sich ihr Echtes, flüchtig und glühend wie ein Sonnenuntergang.
    Als er erwachte, war es dunkel. Für einen erschreckenden Moment glaubte er, es sei schon mitten in der Nacht, doch Julia hatte nur die Jalousien runtergelassen. Sie hockte mit ihrem Laptop neben ihm, nahm die Kopfhörer heraus und beobachtete, wie er nach seinem Handy tastete, um die Uhrzeit zu erfahren.
    Sieben Uhr fünfzehn.
    Er fühlte sich seltsam deplatziert, spürte den Impuls, einfach aufzustehen und wortlos zu gehen. Aber wohin? Wenn er sich nur erinnern könnte … Er wischte sich die Haare aus der Stirn.
    «Warst du schon mal so richtig verliebt?», fragte sie aus heiterem Himmel.
    Er blinzelte. Zögerte lange genug, ehe er «Nein» sagte, dass Raum für Zweifel an seiner Aufrichtigkeit blieb. Wenn er eins über Frauen wusste, dann, dass sie Geheimnisse mochten. Er hatte nie gelogen, um sich interessanter zu machen, aber wenn man die platte Wahrheit richtig sagte, glaubten Frauen einem sowieso nicht und dichteten sich die schmeichelhaftesten Geschichten selbst zusammen.
    «Ich schon, ich war mal verliebt.» Sie begann von ihrem ersten Freund zu erzählen, den sie aus Gründen der Vernunft verlassen musste – «Fernbeziehungen bringen es nicht, und er studiert in England».
    Während sie die Details erörterte, zog er sich an. Seine Jeans, Socken, wo war das T-Shirt? Natürlich, sie hatte es an. Sie redete von den überhaupt nicht komplizierten Familienverhältnissen eines Kerls, der vor Jahren seine Relevanz verloren hatte. Als er ihr das T-Shirt auszog, küsste er sie zum Abschied an den geheimen Stellen, roch aber nur noch das Nikotin, das ihre Haut ausschied.
    Er war schon halb aus dem Zimmer, da rutschte ihm ein Satz heraus, der so offensichtlich unaufrichtig war, dass ihm die Ohren zu glühen begannen: «Ich wünschte echt, ich könnte bleiben.» Er ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. Klamottenberge. Zeitschriften, Plakate und Skizzen von noch mehr Klamotten. «Verfolg deine Träume, versprich mir das.»
    «Hm. Erst mal pennen.» Das sagte sie, klappte den Laptop zu und ließ sich nach hinten ins Bett kippen. Mit einem beinah ehrlichen Lächeln beobachtete er, wie sie sich räkelte. Sie war wunderschön, und sie war ihm so fremd, als hätte es nie ein Geheimnis an ihr gegeben, das er ergründen wollte.
    «Schlaf gut.» Er schloss die Tür.

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11 .
    Z iellos schlug er eine Richtung ein. Die Dämmerung, das gemütliche Herumlaufen, der Geruch, der ihm noch anhaftete – all das hatte er schon Dutzende, vielleicht über hundert Mal in dieser Kombination erlebt. Es fühlte sich ein bisschen wie eine Zeitschleife an. Fast als hätten die Frauen sich von selbst ersetzt, in stillem Einverständnis, ganz ohne sein Zutun.
    Offiziell mit ihm Schluss gemacht hatten nur zwei Mädchen: Sophie, das war ungefähr ein halbes Jahr her, hatte ein paarmal mit ihm geschlafen, ehe sie die Sache feierlich beendete, um

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