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Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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gegen das Geländer. «Nicht gerade die feine englische Art, jemanden so zu sich zu bestellen.»
    «Kommst du?» Resignation schwang in ihrer Stimme mit, mehr spürbar als hörbar wie eine Strömung unter der Oberfläche eines vollkommen glatten Meeres.
    «Vorher gehen wir frühstücken, du und ich.»
    Sie schüttelte den Kopf.
    «Ein Karottensaft. Ich lade dich ein.»
    «Nein.»
    Er wagte nicht zu seufzen. Wer hätte gedacht, dass er einmal zu den bemitleidenswerten Typen zählen würde, die um eine Verabredung bettelten. Es war würdelos. Und obendrein hoffnungslos. Aber er konnte sich selbst nicht aufhalten. «Wenn ich nicht mindestens einen Kaffee trinke, bin ich wahrscheinlich gar nicht in der Lage, Monsieur Samedi zu treffen. Ich würde vor Erschöpfung auf der Stelle einschlafen. Wirklich.»
    Sie blickte nicht zu ihm auf. «Danach.»
    «Nachdem ich Monsieur Samedi gesehen habe, frühstücken wir?»
    Sie nickte, wandte sich um und eilte die Treppe hinab, ohne ihm die Hand zu geben. Er wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Dass er es nicht wusste, war an sich schon ein schlechtes Zeichen. Trotzdem lief er ihr vor Glück überquellend nach.
    Diesmal war sie nicht mit dem schwarzen Sportwagen gekommen, sondern einem nagelneuen BMW -Kombi. Sie stiegen ein, und noch bevor er sich anschnallen konnte, wendete sie den Wagen und gab Gas.
    Obwohl sie raste, als ginge es darum, einen Rekord zu brechen, wirkte sie vollkommen gelassen. Er versuchte sie so unauffällig wie möglich aus den Augenwinkeln anzustarren. Auf welche Schule war sie gegangen, wer waren ihre Eltern, wer der erste Junge, der sie küssen durfte? Nino konnte sich nicht erinnern, dass er je zuvor diese Dinge über einen Menschen hatte wissen wollen, ohne sie ihm von vorneherein anzusehen.
Aber sie ist kein Mensch. Und alle Antworten würden genau das beweisen.
    Als sie auf eine mehrspurige Straße abbogen, war im Rückspiegel die Morgendämmerung und dort, wohin sie fuhren, noch zähe Dunkelheit. Sie glitten durch die Lichtkleckse der Laternen wie durch Röntgenblitze rückwärts in der Zeit, und alles wirkte so erfüllt von Stille und Unwirklichkeit wie an jenem Abend, als er ihr aus der U-Bahn gefolgt war. Vielleicht, weil die Gegenwart sich in ihrer Nähe vollkommen anfühlte, als wäre das Jetzt ein Traum, unbelastet von Logik und Vergänglichkeit.
    Seit dem Gespräch im Treppenhaus hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Nino wollte so viele Dinge sagen und fragen, dass er keine Ahnung hatte, wo er anfangen sollte. Dass sie neben ihm saß, den Wagen steuerte und ihre Knie sich bewegten, lenkte ihn zu sehr ab. Erst als sich vor ihnen das Tor der Tiefgarage öffnete, erreichte ihn der Schreck darüber, zwanzig Minuten lang versäumt zu haben, mit ihr zu reden.
    «Ich muss nachher zur Arbeit.» Das sagte er, von allen Sachen, die in ihm brannten. «Um neun Uhr.»
    «Wenn es sein muss, kann ich schnell fahren.»
    Er schnaubte ein Lachen, bei dem er zu spät merkte, dass es womöglich verächtlich klang. Als ihm eine wortgewandtere Bemerkung einfiel, waren sie bereits im Aufzug und schwebten in den siebzehnten Stock.
    «Du fährst unglaublich. Magst du Eier?»
    Sie sah ihn fragend an.
    «Zum Frühstück.»
    Sie schüttelte knapp den Kopf, aber er glaubte die Spur eines Lächelns in ihren Mundwinkeln zu erkennen.
    Die Aufzugtüren öffneten sich. Hinter dem Glaskasten und der Fensterfront zog der Tag auf. Er kniff die Augen zusammen.
    Diesmal führte Noir ihn die Treppe hinauf, die scheinbar schwerelos aus der Wand ragte. Im Obergeschoss war die Einrichtung spärlich wie unten: Außer schwarzem Steinboden, grauer Tapete und weißen Türen gab es nicht viel. Hier und da waren Milchglasfenster in die Decke gelassen, durch die Lichtblöcke ins dämmrige Dunkel stürzten.
    Noir öffnete eine Doppeltür und ließ ihn in ein Zimmer treten, das bis auf einen spinnenhaften Holztisch mit gebogenen Beinen und zwei Stühlen leer war. Vorhänge dunkelten die Fenster ab. Die einzige Lichtquelle war ein mächtiger Kamin, in dem ein halber Baumstamm in Flammen aufging.
    Etwas Seltsames geschah. Plötzlich und ohne Grund stellte Nino sich vor, wie ein hochgewachsener Junge von etwa sechzehn Jahren den Schürhaken zurück an den Ständer hängte, ihm und Noir einen Blick zuwarf und aus dem Raum ging. Er schauderte unwillkürlich.
    «Sorokin.» Monsieur Samedi kam vom Kamin und breitete die Arme aus. Er trug ein bleigraues Seidenhemd mit hochgekrempelten

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