Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noir

Noir

Titel: Noir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
Ärmeln. Sein Haar klebte in Löckchen an Schläfen und Nacken und stand, wo es bereits ausdünnte, von seinem Schädel ab. Das Lächeln, das er für Nino aufsetzte, war unverkennbar manisch. «Da bist du. Endlich.»
    Nino hörte, wie sich die Tür hinter ihm schloss, und einen Moment lang empfand er ihr Verschwinden wie einen Verrat.
    «Was ist aus unserer Verabredung gestern Abend geworden?»
    Monsieur Samedi senkte die Arme, als hätte Nino sich darüber beschwert, dass die Sonne nur tagsüber schien. Glücklicherweise verwarf er die Idee, ihn zur Begrüßung an sich zu drücken. Stattdessen legte er Nino eine Pranke auf die Schulter. Die Hitze, die sie ausstrahlte, durchdrang den Stoff wie ein Gas.
    «Ich bin viel beschäftigt.»
    «Ich auch. Ich muss in ein paar Stunden bei der Arbeit sein.»
    «Würde ich dich in Schwierigkeiten bringen? Glaubst du das? Wurdest du christlich erzogen?»
    «Äh, nein.»
    «Aber du kennst Jesus.»
    Er nickte vage.
    «Einmal wurde Jesus gefragt, was die Gläubigen im Himmelreich erwarte. Und Jesus sagte, nachdem er eine Weile seine abgetragenen Sandalen betrachtet hatte: ‹Dort wird es keine Zeit mehr geben.› So weit ich mich erinnere, kann durch Tugendhaftigkeit der Himmel schon auf Erden erreicht werden.» Lächelnd, als würde das Gesagte irgendeinen Sinn ergeben, führte er Nino zum Tisch und drückte ihn auf einen Stuhl, ohne die Hand von seiner Schulter zu nehmen. Nino konnte sich kaum auf etwas anderes konzentrieren als diesen ungewollten Kontakt. Am liebsten hätte er ihn abgeschüttelt, aber das war so undenkbar, wie Monsieur Samedi ins Gesicht zu sagen, dass er ihn für einen Psychopathen hielt.
    «Trink etwas.» Monsieur Samedi nahm ein Whiskeyglas vom Tisch und bot es ihm auf eine Art an, die keine Ablehnung zuließ.
    «Was ist das?» Er beäugte die milchige Flüssigkeit.
    «Wasser.» Monsieur Samedi ließ ihn los und nahm auf dem Stuhl gegenüber Platz. «Mit Aspirin.»
    «Nein, danke.»
    «Trink aus.»
    Er sagte es ganz sanft, aber Nino lief eine Gänsehaut über den Rücken. Er kippte die Flüssigkeit hinunter. Soweit er den bitteren Geschmack beurteilen konnte, mochte es wirklich Aspirin sein. Aber fast alle Medikamente und Drogen schmeckten bitter.
    Monsieur Samedi drehte das Glas um und stellte es auf die Mitte des Tisches – das Alphabet und alle Zahlen von Null bis Neun waren ins Holz graviert. Es musste derselbe Tisch sein, den er damals im Chemiewerk als Ouija-Brett benutzt hatte. Im unruhigen Feuerschein glänzten ein paar verräterische, rötliche Flecken auf dem dunklen Holz.
    Monsieur Samedi legte die Fingerspitzen aneinander. «Ich werde das Fragen dir überlassen. Gewiss wirst du Fragen stellen, die auch ich dir beantworten könnte, vielleicht werden die Antworten aber auch variieren, weil das Glas immer ein Spiegel des Fragenden ist und dessen Sprache benutzt. Frag alles, was du wissen möchtest, und kümmere dich nicht um mich.»
    Nino nickte. «Brauchen wir nicht einen Zettel?»
    «Du meinst ein Symbol Salomons.» Monsieur Samedi hustete ein Lachen aus den Tiefen seiner Brust. «Hast du wirklich gedacht, man braucht einen Zettel für die Verbindung zum Jenseits? Wie eine Telefonkarte?»
    Das war also nur Abzocke gewesen. Obwohl er es ja geahnt hatte, fiel es Nino schwer, es zu akzeptieren. «Aber es hat nur funktioniert, wenn …»
    «Wenn du da warst. Weißt du, wie viele Zettel verkauft wurden? Viele. Und bei niemandem hat es funktioniert. Nur bei dir und deinen Freunden. Das lag nicht an einem Zeichen. Das vermutlich sogar fehlerhaft von euch kopiert wurde.» Er lachte wieder.
    «Dann waren die Zettel nur ein Mittel der Überwachung. So haben Sie erfahren, wer es konnte und wer nicht. Weil die Erfolgreichen neue Zettel gekauft haben.»
    Monsieur Samedi beendete das Gespräch abrupt, indem er sein Hemd aufknöpfte. «Leg deine Kleidung ab.» Er warf das Seidenhemd zu Boden und streifte sich die Wildlederslipper ab. Nino hörte die Schnalle seines Gürtels gegen die Tischkante klappern.
    Widerwillig zog er sich die Reißverschlussjacke und sein T-Shirt aus. Das war’s. Er verschränkte die Arme auf dem Tisch.
    «Der Rest», bemerkte Monsieur Samedi ungeduldig, während er selbst unter dem Tisch die Hosen fallen ließ.
    Nino wollte lachen und kratzte sich verlegen den Kopf. «Nein, reicht schon. Mir ist kalt.»
    «Die Schuhe. Barfuß auf den Boden.»
    Ihm gefiel der Befehlston ganz und gar nicht. Aber er konnte sich nicht widersetzen. Einfach

Weitere Kostenlose Bücher