Nonnen
der Verleger auf und holte einen Stapel Kopien
aus dem Schrank. Benno erkannte sogleich die Type seiner
Schreibmaschine, einer 1955er Torpedo. Es war ein Erbstück
seiner Eltern. Er hielt nichts von Computern, mußte sich im
Büro schon genug von ihnen ärgern lassen.
»Hier sind also Ihre Werke. Ich muß sagen,
daß ich selten interessantere, persönlichere gelesen
habe.«
Persönlichere? Was stand denn da über den Autor
selbst drin? Es waren nur Phantasieprodukte. Konnte der Verleger
nicht einmal lesen?
Dieser sagte: »Vordergründig sind Ihre
Erzählungen phantastisch.«
Darauf wäre Benno nie gekommen! Schwafelheini!
»Und wenn man sie so liest, sind sie abgrundtief -
schlecht.« Der Verleger grinste, er war sich der Wirkung
seiner Rede nur zu deutlich bewußt.
Benno antwortete nichts darauf. Eine solche Kritik hatte er
nicht erwartet. Er fragte enttäuscht: »Warum bin ich
dann eigentlich hier? Haben Sie mich denn nicht kommen lassen, um
über meine Geschichten und eine Veröffentlichung zu
reden?«
»Über Ihre Geschichten – ja. Aber so, wie sie
da stehen, werde ich sie natürlich nicht
veröffentlichen. Abgesehen von den vielen Ausdrucksfehlern,
dem mitunter schlechten Timing und den ausgelutschten Themen
geben sie für den Durchschnittsleser einfach nichts her.
Vergessen Sie den ganzen Phantastenquatsch!«
Benno wurde wütend, und er redete lauter, als es
schicklich war: »Das ist schließlich mein eigener
Quatsch, und ich bestimme selbst, was ich schreibe!«
»Natürlich bestimmen Sie das selbst. Aber haben Sie
sich schon einmal gefragt, warum Sie Phantastik
schreiben?«
»Welch eine Frage! Weil in diesen Bereichen meine
Phantasie am ergiebigsten ist, weil ich das mag!«
»Warum ist das so?«
»Warum, warum! Da gibt es kein Warum!«
»Doch, das gibt es, und ich will, daß Sie es mir
sagen, und wenn Sie selbst es nicht wissen, dann sollten Sie es
lernen.«
»Ich verstehe Sie nicht!«
»Also, bevor’s hier emotional wird: Möchten
Sie ’ne Cola?«
Benno nickte, so konnte er sich wenigstens an etwas
festhalten.
Der Verleger stand auf, schob den Paravent zur Seite, holte
zwei Dosen, eine für sich selbst, und sie nahmen einen
tiefen Schluck. »Das kühlt ab«, sagte er und
grinste wieder. »Nun mal im Ernst. Sie glauben doch nicht,
daß Sie jetzt hier säßen, wenn ich kein
Interesse an Ihnen hätte. Aber mein Interesse ist anders,
als Sie vielleicht glauben mögen. Ich habe Ihnen schon
gesagt, daß Ihre Geschichten als solche keinen Wert
haben.«
Na los, komm schon, mach mich fertig, gib mir den
Todesstoß, zieh mir doch die Welt unter den
Füßen weg! dachte Benno. Aber er erwiderte nichts
mehr.
Der Verleger dozierte weiter: »Allerdings steckt in
Ihrem Werk einiges, das beweist, daß Sie in der Tat
großes Talent haben, vielleicht sogar ein Genie sind. Sie
haben nur Ihre Themen noch nicht gefunden. Da wimmelt es von
finsteren Schlünden, dunklen Gängen, Tunneln, in denen
wurmartig Monströses lauert, und so weiter. Das können
Sie alles vergessen.«
›Meine neue Geschichte ist schon anders‹, wollte
Benno sagen. Er kam nicht dazu.
»Zwischen diesen Abgründen blitzt immer wieder
etwas auf. Sie können sich selbst nicht ganz verbergen. Vor
sich selbst, vielleicht, nicht aber vor dem geschulten Leser. In
Ihnen gärt es, ich weiß nicht, was es ist, aber Sie
berichten viel von sich, immer an Stellen, die für den
Fortgang der Handlung völlig belanglos sind.«
»Was soll denn das sein?« fragte Benno
resignierend.
»Das kann doch ich Ihnen nicht sagen. Das müssen
Sie selbst wissen. Nur Sie selbst kennen sich. Offenbar aber
nicht gut genug. Fangen wir einfach mal an: Warum schreiben Sie
Horror?«
»Das haben Sie schon einmal gefragt.«
»Und Sie haben mir keine befriedigende Antwort
gegeben.«
»Warum interessiert Sie das alles?«
»Weil ich aus Ihnen einen hervorragenden Schriftsteller
machen möchte. Sie haben das Zeug dazu. Ihr Talent muß
nur geschult werden. Deswegen, und nur deswegen sind Sie
hier.«
Benno erhob sich. Wenn das so war, brauchte er diese Tortur
nicht länger über sich ergehen zu lassen.
»Bleiben Sie! Ich will Ihnen etwas sagen. Sie laufen vor
der Realität, vor sich selbst davon.«
Benno setzte sich wieder. »Bin ich überhaupt
real?« fragte er. Es war mehr ein Selbstgespräch.
»Wahrscheinlich sind Sie nicht das, was Sie zu sein
vorgeben. Aber das ist bei jedem so. Ich wette, die
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